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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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Wahrnehmung nach mußte etwas geschehen.
    Paß auf, sagte er zu Ines, ich werde an die Front gehen. Im
Frühjahr, als Sanitäter. Vorher will ich die dazu nötige medizinische
Grundausbildung machen. Und mich physisch in Form bringen. Du setzt mich bitte
auf Diät. Sei hart zu mir. Ich werde morgens am Strand Sport treiben und
nachmittags in einem Lazarett freiwillig Dienst leisten, bis ich den
Anforderungen dieses Krieges genüge und einen sinnvollen Beitrag im Kampf gegen
den Faschismus leisten kann. Keine Widerrede. Versuch nicht, mich umzustimmen.
Wisch dir das Wasser aus den Augen. Ich wünsche nicht, daß du mich weiterhin
verweichlichst und von meiner Bestimmung abbringst. Hast du das verstanden?
Sonst bin ich dir ernsthaft böse.
    Ines nickte und flüsterte Karl ins Ohr, wie stolz sie auf ihn sei.
Sie versuchte Karl zu küssen, auf den Hals, auf den Mund, was dieser nicht
zuließ. Ihre Zuneigung war ihm nie ganz geheuer, schien ihm irrational und
kontraproduktiv, wenngleich er gegen ein wenig Kosen und Küssen an sich gar
nichts gehabt hätte. Er verzichtete darauf, verbot sich jedwede Seelenmassage
zugunsten eines höheren Ziels. Und kam sich bald nur noch unwichtiger vor.
    Pierre Geising litt mehr, als er zugeben mochte, darunter,
seit zwei Monaten keinen Brief seiner Frau mehr erhalten zu haben. Ständig
dachte er darüber nach, wie es ihr ging, was sie tat, welche Ärzte ihr
beistanden und welche Menschen.
    Das Verhältnis zu Ellie drohte aus seiner Sicht in die Brüche zu
gehen, weil der Schatten seiner gescheiterten Ehe es belastete und erkalten
ließ. Fortwährende Impotenz kann von keiner Geliebten dauerhaft hingenommen
werden. Nahm er an. Ellie hätte ihn, wäre je die Sprache darauf gekommen,
beruhigen können. Für jedes Mal, das sie nicht mit ihm schlafen mußte, war sie
froh, wenngleich es ohne positive Bedeutung blieb, denn Max reagierte
inzwischen mißtrauisch auf Ellies Mitteilungen, wonach wieder einmal nichts
passiert sei. Er hielt das für eine verlogene Beschwichtigungsstrategie, für
rücksichtsvolles Geschwätz.
    Barcelona, 10. Dezember 1936
    Lieber Bruder, liebe Ellie, habt meinen herzlichsten Dank für
den Scheck, der mir viel bedeutet, um nur das Mindeste zu sagen.
    Wie geht es euch? Ihr habt kein Wort darüber verloren, also
nehme ich mal nur das Beste an. Ich bereite mich hier gewissenhaft auf meinen
Kriegseinsatz vor, der unmittelbar bevorsteht. Ein Menschenleben ist in Spanien
zur Zeit nicht arg viel wert, es herrscht eine gewisse Verschwendungssucht
verbunden mit einer fatalen Gewissenlosigkeit auf beiden Seiten. Man muß sehr
vorsichtig sein, um nicht zwischen den Mühlsteinen zermahlen zu werden. Es
drängt sich der Eindruck auf, daß es gar nicht so sehr darauf ankommt, wo man
steht, sondern allein darauf, wofür man gehalten, wie man beurteilt wird. Die KP macht Boden gut, räumt mit diesen unhaltbaren
Zuständen nach und nach auf, sie allein steht für eine klare Doktrin, eine
Linie, auf der man sich positionieren kann, ohne in einer politischen Grauzone
umherzutaumeln, hilflos allen möglichen Verdächtigungen und Momentparolen
ausgesetzt. Als Deutscher gilt man hierzulande schnell als Hitler-
Sympathisant, und es bedarf des dreifachen persönlichen Einsatzes, sich hiervon
reinzuwaschen. Ich werde mich zum Sanitätsdienst bei den regulären Truppen
melden, schon deswegen, weil ein effektiv arbeitender deutscher Spion sicher
eine andere Einheit wählen würde. Für einen Außenstehenden ist das alles wohl
schwer nachzuvollziehen. Hier, wo Krieg im Krieg herrscht und der Wildwuchs des
Anarchismus noch immer nicht gebändigt ist, kann niemand der gängigen Logik
entsprechend seinen Platz suchen. Ich grüße euch herzlich, euer Karl.
    Der Brief, wiewohl ausreichend frankiert, traf nie in
Paris ein. Max und Ellie machten sich um Karl denn auch Sorgen, aber es gab,
fanden sie, nichts, was sie hätten tun können, außer eben mit der Sorge zu
leben und sie, so gut es ging, zu verdrängen. Max schickte keinen weiteren
Scheck, in der Annahme, daß das Geld den Adressaten ohnehin nicht erreichen
würde.
    Anfang Dezember faßte Geising einen schwerwiegenden Entschluß. Er
übertrug Ellie kommissarisch die Leitung des Hotels und reiste Richtung Menton
ab. Ellie war nicht im mindesten befähigt, geschweige denn vorbereitet, eine
solche Verantwortung zu übernehmen, aber Pierre meinte, sie solle einfach in
seinem Sessel Platz nehmen und streng gucken, dann liefe alles wie von

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