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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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Kindern und den Alten, und niemand gab etwas auf
Warnungen, man könne von feindlichen Schiffen aus beschossen werden. Einen
einzigen optischen Hinweis auf den Krieg boten leichter verwundete Milizionäre,
die die Sanatorien bereits stundenweise verlassen konnten und Seeluft
schnuppern wollten. Manche hatten eine Gliedmaße eingebüßt oder waren
trübsinnig geworden oder litten an offenen Wunden, die mit frischer Luft behandelt
und durch ein feines Drahtgeflecht vor den Fliegen geschützt wurden. Ein
vermutlich hochrangiger Verwundeter mit eingegipsten Beinen wurde auf
Holzpritschen an den Strand getragen, für einige Stunden dort geparkt und
später wieder abgeholt. In der Zwischenzeit rauchte er eine Zigarette nach der
anderen, löste Kreuzworträtsel und trank mit dem Strohhalm Weißwein aus einer
Literflasche. Die Flasche hatte er tief in den Sand eingegraben, damit sie kühl
blieb.
    Karl widmete sich, nach dem Bad und dem heißen, stark gezuckerten
Tee, seinem Muskelaufbau. Er stemmte Hanteln, beziehungsweise, weil Ines ihm
keine echten Hanteln hatte besorgen können, zwei abgenutzte Aktentaschen voller
Steine. Das sah sehr merkwürdig aus und zog allerhand Kommentare nach sich.
    Karl kam mit einem jungen Engländer ins Gespräch, der eben erst in
Barcelona eingetroffen war und sich unbändig freute, daß irgendwer seine
Sprache beherrschte. Sein Name war Eric Blair, ein baumlanger Kerl, es stellte
sich heraus, daß er die letzten Monate in Paris verbracht hatte, in einer üblen
Gegend, die dabei kaum einen Kilometer Luftlinie von der Rue Clovis entfernt
lag. Dort hatte er in einer von Wanzen verseuchten Absteige gewohnt und in
einem Luxushotel als Spülhilfe gearbeitet. Karl und Eric verstanden sich auf
Anhieb. Der junge Engländer war einer jener vielen Idealisten, die ins Land
kamen und in den Krieg ziehen wollten, schon allein weil sie glaubten, es dort
nicht viel schlechter zu haben, eher im Gegenteil. Selbst nach den Erfahrungen
des Ersten Weltkriegs galt vielen jungen Menschen der Krieg noch als eine prächtige Sache ,
die man einmal miterlebt haben mußte. Blair meinte, auch dem Frieden sei nicht
immer zu trauen, er wußte erschütternde Geschichten über den hygienischen
Zustand der Pariser Hotelküchen zu erzählen, und der lakonisch trockene Humor,
mit dem er seine Erfahrungen preisgab, ließ Karl mehrmals in ein hechelndes
Lachen ausbrechen.
    Wenigstens habe ich in Paris etwas über Wanzen gelernt.
    Was denn?
    Pfeffer. Sagte Eric und zwinkerte. Man muß Pfeffer auf das Bettlaken
streuen, den hassen die Wanzen und machen einen großen Bogen um dich.
    Werd ich mir merken. Meldest du dich zu den Milizen?
    Eric nickte. Er war ein schlaksiger Mann mit schmalem Gesicht,
Oberlippenbart und nach hinten gekämmten braunen Haaren. Seine Flanellhose war
fleckig und die Lederjacke abgewetzt. Nein, antwortete er auf die nächste
Frage, er gehe nicht zu den Anarchisten, er sei Kommunist. Karl reichte ihm die
Hand. Bravo! Wie es in bewegten Zeiten üblich ist, schlossen sie schnell
Freundschaft aufgrund von wenigen äußerlichen Gemeinsamkeiten.
    Und du? Treibst Sport?
    Ich habe meinen Körper verludern lassen, gestand Karl, ich muß ihn
in Form bringen. Heute nachmittag will ich in einem Lazarett vorsprechen, für
eine Sanitätsausbildung.
    Karl hatte das eigenartige Gefühl, dem Engländer, den er noch keine
halbe Stunde kannte, anvertrauen zu können, was er keinem anderen Menschen
erzählt hätte. Ich bin Pazifist, weißt du, aber vermutlich ist diese
Überzeugung aus purer Angst geboren. Ich liege im Konflikt mit mir. Eric
kommentierte Karls Offenheit mit einem anerkennenden Brummen, zündete zwei
Zigaretten an und hielt Karl eine davon hin. Der wollte, da die Zigarette nun
schon einmal brannte, nicht unhöflich sein, wenngleich er selten rauchte,
normalerweise nur in Gesellschaft und nie auf Lunge.
    Was ist mit dir ? Hast du keine Angst?
    Doch. Natürlich. Nur Idioten haben keine Angst. Aber was solls?
Angst läßt sich schwer in Energie umwandeln. Und wann hätte es je einen
besseren Grund gegeben, sein Leben zu riskieren?
    Das stimme schon, flüsterte Karl kleinlaut. Eben noch hatte er seine
übliche Litanei anstimmen wollen, daß doch jeder denkende Mensch begehre, an
der richtigen Stelle, auf die sinnvollste Weise eingesetzt zu werden. Angesichts
von Erics lakonischer Haltung schwieg er lieber und machte einen bekümmerten
Eindruck. Eric klopfte ihm auf die Schulter.
    Sanitäter zu sein ist sehr

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