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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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selbst.
Mehr oder minder.
    Was willst du in Menton? Laß deine Frau lieber mal in Ruhe. Sie wird
schon ihre Gründe haben, misch dich da nicht ein!
    Ellie spielte ein wenig die Eifersüchtige, aber allzuviel Theater
war gar nicht nötig, sie war wirklich eifersüchtig, geradezu gekränkt. Pierre
wollte nur drei Tage fort sein, es wurden aber sechs daraus. Sechs Tage blieb
sie ohne Nachricht. Sechs Tage, in denen sie mit Max im Hotel schlief, um sich
morgens und abends die langen Wege vom und ins Quartier Latin zu sparen. Die
beiden ließen es sich gutgehen, tranken Champagner und orderten das Tagesmenü
aufs Zimmer. Streng achteten sie darauf, sich nicht dem Klatsch des Personals
auszusetzen. Wenn einer der Boys an der Tür klopfte und das Essen auftrug, zog
sich Max ins Bad zurück und trat erst wieder heraus, wenn der mögliche Zeuge
das Zimmer verlassen hatte. Am vierten Tag von Pierres Abwesenheit kam der
Marquis de Paulignac vorbei und fragte flüsternd nach dem Spezialtarif für
Zimmer 27. Der Rezeptionist, Xavier Chapelle, ein früh ergrauter Mann von
vierundvierzig Jahren und unbeweglicher Mimik, war in groben Zügen eingeweiht
und händigte dem Marquis den Schlüssel aus. Was es genau mit jenem Spezialtarif
auf sich hatte, wußte Chapelle aber nicht. Geising hatte ihm gegenüber nur
erwähnt, daß vielleicht jemand danach fragen würde. Dann solle er demjenigen
den Schlüssel geben, ohne Gegenfragen zu stellen, das sei schon in Ordnung, ein
kleiner exklusiver Service für enge Freunde des Hauses. Chapelle dachte sich
seinen Teil, war aber von seinem Charakter her grundloyal und recht zufrieden
mit der Position, die er in diesem Leben erreicht hatte. Er würde sie nicht
ohne Not riskieren, und mit seinem Chef verband ihn sogar etwas wie
Freundschaft. Daß der Marquis mit dem erhaltenen Schlüssel nicht etwa das
gebuchte Zimmer betrat, sondern hinaus auf die Straße lief und nicht mehr
auftauchte, nahm Chapelle verwundert zur Kenntnis. Gleich darauf huschte ein
Mann im langen Mantel an der Rezeption vorbei und nahm die Treppe nach oben
beinahe im Laufschritt, wobei er seinen Zylinder mit einer Hand festhielt und
so gleichzeitig weite Partien seines Gesichts verdeckte.
    Dabei stieß er mit der eben von oben kommenden Ellie zusammen und
räusperte ein Excusez-moi,
Madame . Ellie antwortete auf deutsch: Nix passiert . Und der Mann
seufzte laut, hetzte an ihr vorbei, ohne sich, wie es der mindeste Anstand
erfordert hätte, noch einmal nach ihrem Wohlbefinden zu erkundigen. Ellie sah
ihm verwundert nach, da trat ein schlaksiger junger Mann, beinahe noch ein
Knabe, durch die Drehtür und sah sich nach den Schildern um, die den
Zimmernummern per Pfeil eine Richtung zuwiesen. Er rollte geschickt eine
glimmende Zigarette von einem Mundwinkel zum anderen, nickte in die Runde und
schlängelte sich an Ellie vorbei, die auf der untersten Treppenstufe
stehengeblieben war und darüber nachdachte, wie sie das Verhalten des Zylinderträgers
einordnen sollte.
    Das ist ja der reinste Taubenschlag hier, rief sie Xavier zu. Der
aber sprach kein Wort Deutsch, nur ein wenig, und recht wenig, Englisch.
    Much Business
today!
    Yes, Madam, yes.
    You know these
people?
    Yes, Madam, yes.
    The one with the
hat, what is his name?
    Yes.
    Ellie gab weitere Nachfragen auf. Xavier fand es offensichtlich für
unter seiner Würde, sich mit ihr abzugeben. In der Tat konnte Chapelle sie
nicht leiden, und daß Pierre nicht ihn, sondern diese Deutsche, die kein
Französisch sprach und, wie man unter den Zimmermädchen munkelte, zu ihrem
Bruder ein eigenartig inniges Verhältnis unterhielt, mit der Leitung des Hotels
betraut hatte, das war, gelinde gesagt, eine Frechheit.
    Pierre Geising nahm den Frühzug und traf nach sechsstündiger
Fahrt um elf Uhr morgens in Menton ein. Er trug nur den kleinen Koffer für
Strandausflüge bei sich, und statt ein Taxi zu nehmen, ging er zu Fuß. Die
Thermometer in den Auslagen der Geschäfte zeigten 12 Grad. Selbst im Dezember
machte die Stadt einen gemütlichen und friedvollen Eindruck. Julie hatte hier
als Kind ihre Sommerferien verbracht und ihr im letzten Jahr verstorbener Vater
seinen Lebensabend – in einem schmucken Haus mit großem Garten, oben auf den
Hügeln über dem Stadtkern. 40.000 Francs war es bestimmt wert. Pierre hatte es
erst einmal gesehen und betreten, damals, vor fünfzehn Jahren, als er mit Julie
dort den ersten Teil der Flitterwochen verbringen durfte, bevor es weiter nach
Casablanca ging.

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