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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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anarchistischen Kommunen boten das an, nur eben
nicht in den Lazaretten selbst.
    Am nächsten Morgen pflanzte sich Karl vor Ines auf und verkündete,
daß er eine für seine Zukunft tiefgreifende Entscheidung getroffen habe. Statt
als einfacher Sanitäter in den Krieg zu ziehen, wolle er die Sache lieber
gleich richtig angehen und Medizin studieren. Ines klatschte Beifall und
umarmte ihren Gast. Irgendwoher zauberte sie eine Flasche süßlichen Sekt – und
ausnahmsweise trank Karl ein Becherchen mit. Er war, fand er, angesichts eines
Lebens, das so kurz sein und unvermittelt enden konnte, ein Mann zu vieler
Prinzipien. Noch am selben Tag schrieb er sich an der Volksuniversität ein, die
inzwischen etliche geräumte Klosteranlagen als Hörsäle nutzte. Jeder durfte
studieren, es gab keine Gebühren. Karls Spanisch war längst noch nicht gut
geschweige denn perfekt, aber schließlich war er vor noch nicht langer Zeit der
Klassenprimus in Latein gewesen – und hatte seinen hiesigen Kommilitonen damit
einiges voraus. Daß er darauf nicht früher gekommen war. Morgens pflegte er weiterhin
seinen Dauerlauf am Strand zu machen, aber zum Baden war das Wasser nun, so
kurz vor Weihnachten, schlichtweg zu kalt. Und wer Aktentaschen mit schweren
Steinen durch die Gegend schleppte, machte sich aller möglichen Dinge
verdächtig.
    Am 23. Dezember 1936, morgens zwischen 10 und 12 Uhr, signierte
Alfred Döblin seine Bücher in der Galerie Billiet, wo
eine Art Messe für deutsche Emigrantenliteratur stattfand. Max hatte Berlin, Alexanderplatz gelesen, einen Roman, den er bis zur
Hälfte sehr ordentlich und originell, dann überambitioniert und zerfahren bis
ermüdend fand. Er stellte sich in die kurze Reihe der Kunden, obwohl er den
Roman nicht bei sich trug und auch nicht vorhatte, ein anderes Buch zu kaufen.
Döblin, ein Mann in den Fünfzigern, wirkte freundlich und geduldig, dabei sehr
bieder, so gar nicht, wie Max ihn sich vorgestellt hatte, nämlich als wilden
Bürgerschreck, als Alkoholiker mit verschattet genialischem Antlitz.
    Entschuldigen
Sie, daß ich mein Exemplar von Berlin, Alexanderplatz in
Deutschland zurücklassen mußte.
    Döblin entgegnete schlagfertig, daß es dort von größerem Nutzen sei
als hier.
    Darf ich Ihnen eine Frage stellen? Max wartete das Nicken seines
Gegenübers gar nicht ab und zog aus seiner Tasche eine Mappe aus festem Karton.
    Sie sind für mich ein Schriftsteller von Rang, und ich benötige
einen Rat.
    Döblin zog die Stirn in Falten, in Vorausahnung dessen, was kommen
würde.
    Wir sind, sozusagen, Kollegen, auch wenn ich selbst noch ganz am
Anfang stehe. Ich habe hier ein unvollendetes Manuskript eines Romans, oder
etwas in der Art eines Romans. Würden Sie es sich ansehen und mir Ihre Meinung
dazu sagen?
    Nein.
    Wie bitte?
    Nein, junger Mann, das mache ich nicht. Aus Prinzip nicht.
    Aber … warum denn nicht? Es ist kein voluminöses Manuskript, es würde
Ihnen nur sehr wenig Ihrer kostbaren Zeit stehlen. Und vielleicht würde es
Ihnen ja sogar gefallen.
    Hätte Döblin geahnt, wie wenig Zeit ihm mit der Lektüre dieses unvollendeten Romans tatsächlich verlorengehen würde, hätte er vielleicht doch einen Blick
hineingeworfen. Aus purer Neugier. So aber erklärte er sein Prinzip.
    Erstens: Ich kann mich irren. Sie sind jung, und egal, was Sie mir
zeigen wollen, Sie werden in ein paar Jahren ganz anders schreiben als jetzt,
das ist der natürliche Lauf der Dinge. Würde ich Ihnen hier und heute ein
schlechtes Zeugnis ausstellen, könnte das ein großer Fehler sein, der Ihnen
ohne jeden guten Zweck den Mut und das Selbstbewußtsein raubt.
    Ich würde Ihr Urteil sicher nicht überbewerten, hätte Max beinahe
gesagt, fing den Satz aber kurz vor den Zähnen ab.
    Zweitens: Ein wirklicher Schriftsteller wird immer seinen Weg gehen,
egal, was andere ihm über seine Arbeit sagen. Drittens: Selbst im
allerschlimmsten Fall, nämlich wenn mir Ihr Werk gefiele, so könnte ich doch
wenig dafür tun, außer es genau jenen Leuten zu empfehlen, deren Beruf darin
besteht, solche Manuskripte zu prüfen, und die das sicher mit oder ohne meine
Empfehlung gewissenhaft tun werden, schon allein, weil es in deren ureigenem
Interesse liegt, gute Literatur zu entdekken. Viertens: Mag sein, daß Ihre
Talentprobe nicht umfangreich ist, vielleicht nur aus fünfzig Seiten besteht,
und ich nach zwanzig davon bereits zu einem Urteil gekommen sein könnte –
bedenken Sie bitte, wie viele solcher Anfragen ich

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