Nicht ganz schlechte Menschen
sinnvoll. Mach dir mal keine Gedanken.
Wenn du einen unsrer Leute rettest, kann der danach einen Faschisten für dich
mit erschießen. Das einzige, was mich wirklich ärgern würde, wäre, an der Front
zu fallen, ohne wenigstens einen Faschisten getötet zu haben.
Etwas an dieser Mitteilung ließ Karl innerlich auf Distanz gehen.
Die Simplizität einer solchen Rechnung wirkte auf ihn abstoßend und bestrickend
zugleich. Einleuchtend in ihrer jugendlichen Mathematik, und doch bestürzend.
Es bedeutete nichts anderes, als daß Eric Blair keinen Unterschied machte zwischen sich selbst und irgendeinem
Kämpfer der Gegenseite, wer immer das sein mochte, vielleicht ein ganz
ungebildeter zwangsrekrutierter Siebzehnjähriger. War das etwa die für einen
Soldaten einzig richtige Herangehensweise an den Krieg? Beim Gedanken daran
schüttelte es Karl buchstäblich. Als sich bald noch herausstellte, daß Eric
Blair ein gebildeter Mensch war, der viel las und in seiner Freizeit Prosa
verfaßte, Geschichten und Reportagen, war Karls Selbstwertgefühl auf dem
Tiefpunkt angelangt. Wenig hätte gefehlt, und er wäre bereit gewesen, sich an
Erics Seite zur Front zu melden, so sehr beeindruckten ihn dessen drei Worte: Aber was solls?
Danach erschien ihm jeder Wunsch nach einem langen, erfüllten Leben
wie eine aus bourgeoiser Eitelkeit entsprungene Kleinmädchenphantasie.
Ich habe auch einmal Reportagen verfaßt, hörte er sich sagen, leider
nur Blödsinn für ein Käseblatt. Karl schnippte die Zigarettenkippe in den Sand.
Er packte seinen Kram zusammen und wünschte Eric viel Glück bei den
Internationalen Brigaden. Und eine befriedigende Abschußquote. Der Engländer
zog beide Augenbrauen hoch.
Wieso? Ich gehe nicht zu den Internationalen Brigaden.
Sagtest du nicht, du seist Kommunist?
Eben deswegen bevorzuge ich die POUM .
Bei den Brigaden sollen doch nur die Stalinisten das Sagen haben.
Aber – Karl unterbrach sich und schwieg. Die Internationalen
Brigaden waren Truppen von freiwilligen ausländischen Linken jeglicher Couleur,
deren Ausbilder in der Tat zumeist aus Moskau stammten. Die POUM (Vereinigte Marxistische Arbeiterpartei) war
hingegen, soviel man hörte, ein schlecht organisierter Haufen trotzkistisch
gefärbter Wirrköpfe, die sogar, das behaupteten die Zeitungen der PSUC unentwegt, Verräter seien und im Soldbuch der
Reaktionäre stünden. Vielleicht hatte Eric das nur noch nicht mitbekommen.
Was ziehst du denn für ein Gesicht?
Karl wiegelte ab. Er fühlte sich bereits etwas besser. Die Milizen
der POUM lagen an der Front vor Huesca, die seit
Wochen praktisch stillstand. Im dortigen Grabenkampf ging nichts vorwärts, es
gab auf beiden Seiten kaum Verluste zu beklagen, ein Umstand, den die
moskautreue Propaganda dankbar aufgriff, um gegen die POUM als fünfte Kolonne Francos zu hetzen. Karl war nicht so blauäugig, um allem,
was von der Sowjetpresse behauptet wurde, Glauben zu schenken. Aber konnte es
nicht sein, daß dieser auf Vorschuß glorreiche und aufopferungsbereite Maulheld
namens Eric sich ganz bewußt für jenen Frontabschnitt entschieden hatte, an dem
ihm die geringste Gefahr für Leib und Leben drohte?
Erst Stunden später gab Karl vor sich selbst zu, daß jede seiner
Beurteilungen und Mutmaßungen doch einzig dem Zweck diente, vor dem inneren
Spiegel eine bessere Figur abzugeben. Statt der kläglichen, die ihm die
Wirklichkeit zumutete. Er hatte sich inzwischen, seinem Vorsatz gemäß, als
freiwillige Hilfskraft in einem Lazarett gemeldet. Die Stockwerke 2, 3 und 4
des ehemaligen Luxushotels Ritz wurden, wie er von seinem Ausflug mit Zanoussi
noch in Erinnerung hatte, als solches genutzt. Karl nahm allen Ernstes an, daß
man ihn dort genausogut wie irgendwo anders willkommen heißen und ausbilden
würde. Statt dessen wurde er nach seinen praktischen Erfahrungen befragt. Weil
er solche nicht vorweisen konnte, lachte man ihn aus.
Es stünden, hieß es, genügend Frauen für diese Aufgabe bereit, und
die Verwundeten, in der überwältigenden Mehrzahl Männer, würden nunmal Frauen
als Pflegekräfte bevorzugen. Einen fähigen Chirurgen, hieß es, könne man immer
gebrauchen. Ob er ein solcher sei, wurde Karl gefragt. Beinahe hätte er ja
gesagt, einfach nur, um dem Spott der Ärzte Paroli zu bieten. Und um sich ein
wenig besser zu fühlen, bevor er am Abend gedemütigt auf sein Zimmer schlich.
Es hätte einige Möglichkeiten gegeben, eine kostenlose Ausbildung zum
Sanitätsdienst zu erhalten, die
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