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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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bekomme …
    Es sind nur zweieinhalb Seiten, warf Max dazwischen. Döblin starrte
ihn an, erst entgeistert, dann belustigt.
    Zweieinhalb Seiten?
    Ich denke mir, jemandem wie Ihnen genügt ein einziger erster Satz,
um sich ein Urteil zu bilden.
    Das ist … äh … ein Klischee. Viele sehr gute Bücher beginnen
unspektakulär bis schwachbrüstig. Steigern sich dann. Ein guter erster Satz
allein bedeutet noch nichts.
    Aber wir Emigranten müssen doch zusammenhalten. Betrachten Sie es
nicht als Teil Ihrer Aufgabe, als schon durchgesetzter Autor jungen Kollegen
Beistand zu leisten?
    Bedaure, nein. Entschuldigen Sie mich? Hinter Ihnen stehen noch
andere Leser, die es wenigstens für nötig finden, mir mit dem Kauf eines Buches
etwas Respekt zu erweisen.
    Also darum geht es? Verstehe. Max sah sich um. Hinter ihm standen
drei Leute, die dem Gespräch interessiert zuhörten, wenngleich sie auf seinen
Blick hin wegsahen und unbeteiligt taten. Er hatte nicht das Gefühl, die
Veranstaltung zu stören. Nun überkam ihn die Lust, sie ins Groteske zu ziehen.
    Wenn ich eines Ihrer Bücher kaufe, lesen Sie dann meines? Es hat
einen Titel: Die
Sinnlosigkeit . Wie finden Sie den Titel?
    Irgendwie … auf negative Weise – vielversprechend. Wir sind hier
nicht auf dem Bazar.
    Nein? Ich dachte, eine Messe und ein Bazar seien sich nicht so
grundunähnlich.
    Mag sein. Nun legen Sie es aber ein wenig deutlich auf meine Nerven
an.
    Sie kommen doch von Hölderlin und Nietzsche her. An wen, wenn nicht
an Sie, sollte ich mich wenden?
    Haben Sie das irgendwo über mich gelesen? Oder haben Sie diesen
Schluß aus meinen Büchern gezogen? Ich will Ihnen mal was verraten: Wir
Autoren, und ich zähle Sie einfach mal dazu, obwohl Sie mir völlig unbekannt
sind …
    Das könnten Sie jederzeit ändern!
    … sind Einzelkämpfer. Jeder muß seinen eigenen Weg finden, zu Licht
und Glück. Es kommt vor, daß wir uns innerhalb einer Gruppe positionieren, für
einen gewissen Zweck und Nutzen. Aber ein Autor, ein echter Autor, nicht nur
ein Schreiberling, zeichnet sich dadurch aus, daß er diesen dornigen, steinigen
Weg unbeirrt vorangeht, ungeachtet aller Anfeindungen. Weil er etwas zu sagen
hat. Und er gibt einen Dreck darauf, was jemand wie ich dazu zu sagen hat.
    Dann disqualifiziere ich mich allein schon dadurch, daß ich hier mit
Ihnen rede?
    Nein. Sie sind, wenn ich das sagen darf, sehr jung. In gewissem
Sinne sind Sie allmächtig. Und wenn Sie mich beneiden, ist das grundfalsch,
eher müßte ich Sie beneiden, um Ihre Möglichkeiten. Ich habe aus meinem Leben ein bißchen was
gemacht. Sie aber können aus Ihrem noch alles machen. Jetzt
entschuldigen Sie mich bitte.
    Max nickte und trat gehorsam aus der Reihe. Döblins Befund, er sei
allmächtig, deckte sich ganz und gar mit seiner eigenen Auffassung, nichts
anderes hatte er hören wollen – doch jene Allmacht für die Zeitgenossen unter Beweis
zu stellen, kam, je länger er darüber nachdachte, einer Fleißarbeit, einer
lästigen Hausaufgabe gleich.
    Ellie, Max und Pierre feierten aus deutscher Tradition heraus
Heiligabend, an dem in Paris jeder Vergnügungsbetrieb geöffnet hatte, im Monbijou mit einer gebratenen Gans, Rosmarinkartoffeln und
einem kräftigen Rotwein aus dem St. Emilion. Vorher hatte man groß ausgehen
wollen. Pierre schlug vor, sich in der Opéra Comique Bizets Carmen anzusehen. Er wäre als Hotelbesitzer an günstige Restkarten gekommen. Max war
damit einverstanden, Ellie eher nicht, sie verwies auf die Laterne ,
das deutsch-französische Cabaret, wo ein lustiges Weihnachtssonderprogramm
dargeboten werden sollte. Max las sich die Ankündigung durch. Eine der Nummern
hieß: Wie kommen die Löcher in den Käse? Und da war
für ihn der Spaß auch gleich zu Ende. Zuletzt einigte man sich, wie so oft, auf
Kino. Auf den Champs Elyssée, im gleichnamigen Lichtspieltheater, lief Moskau-Shanghai mit Pola Negri in deutscher Fassung. Die
Zeitungen meldeten, daß sich tags zuvor Leo Trotzki aus Europa verabschiedet
hatte und aus seinem norwegischen Exil nach Mexiko übersiedelte, wohl, weil er
sich dort vor einem drohenden Mordanschlag Stalins sicherer fühlte. Erwähnt
wurde auch, in welchen Dimensionen die Rote Hilfe die
    Regierungstruppen in Spanien unterstützte, nämlich unter anderem mit 50 Tonnen
    Süßigkeiten, 25 Tonnen Wurstwaren, 60 Tonnen Obst, 100.000 Schachteln
Zigaretten, 100.000 Zigarren und 50.000 Litern Cognac. Und das war nur die
Feiertagsextraverteilung. Es klang,

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