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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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als müsse man sich um Karl, von dem die
drei lange nichts gehört hatten, keine großen Sorgen machen, jedenfalls wenn es
um die Frage der Verpflegung ging. Kaum jemand in Frankreich realisierte, daß
das Ziel der sowjetischen Spendenbereitschaft vor allem darin bestand, den
verarmten Anarchisten in der Gunst der spanischen Bevölkerung den Rang
abzulaufen. Aus Deutschland wurde gemeldet, daß die Begriffe nichtdeutscher
Herkunft Café und Lokal künftig nicht mehr verwendet und durch Kaffeehaus bzw. Gaststätte oder Bierstube ersetzt werden sollten.
    Der Film mit
Pola Negri, eine frische UFA -Produktion unter der
Spielleitung Paul Wegeners, ging als mehr oder minder passable Unterhaltung durch. Ellie hörte im Kino
zum ersten Mal die Stimme jener Schauspielerin, die ihr angeblich recht ähnlich
sehen sollte. Viel Volk war auf den Straßen und Boulevards unterwegs, Paris
glänzte, selbst das Wetter zeigte sich verständnisvoll mild, und François, der
Chefkoch im Monbijou , tranchierte und kredenzte dem hungrigen Trio die bei mittleren
Temperaturen stundenlang gegarte Gans in Pierres Büro wie einen definitiven
Beleg seiner Kunst, bevor er sich in den Feierabend verabschiedete. Drei
Dessertportionen (Karamelpudding mit Zimtapfelschnitzchen) lagen in der Kühlung
bereit. Nichts schien einem geglückten Ausklang des Abends im Weg zu stehen.
Man hatte vorab vereinbart, sich keine Geschenke zu machen. Pierre verstieß
gegen die Abmachung und legte Ellie eine Perlenkette um den Hals. Für Max zog
er ein silbernes Zigarettenetui aus der Tasche. Vorwürfe, weil die beiden
umgekehrt für ihn kein Geschenk besorgt hatten, wiegelte Pierre ab, das sei schon
in Ordnung, er schenke gern, Vereinbarung hin oder her. Daß Max sich brüskiert
fühlen könne, zog er erst gar nicht in Betracht.
    Ellie band ihr Haar zu einem Dutt, um ihren schönen schmalen Hals
freizulegen und die Perlenkette noch wirkungsvoller herauszustellen. Die
Geschwindigkeit, mit der sie das tat, die drei Handgriffe, die nötig waren, um
den Haarschopf zu wikkeln, mit einem Gummi zu bändigen und in Form zu bringen,
kam einem Schauspiel gleich, dem sowohl Max als auch Pierre fasziniert zusahen. Man unterhielt sich
über Bierstuben und Gaststätten, über die deutsche Sprache im allgemeinen und
den nationalsozialistisch getrimmten Wortschatz im besonderen. Die
Gesprächsthemen gingen nach Mitternacht aus, für den Rotwein galt das nicht.
Max ließ sich dazu herab, ein einfaches Kartenspiel zu erlernen, eine Art
Mau-Mau, er fand sogar Gefallen daran. In Maßen. Um ein Uhr morgens war Pierre
betrunken und wollte sich mit Ellie zurückziehen, in eines der leerstehenden
Zimmer. Nein, sagte Max, das sei nicht gut. Pierre, erstaunt ob des ernsten
Tonfalls, erklärte weitschweifig, was er meine. Nein, es gehe nicht darum, daß
Ellie in die Rue Gabrielle ziehen solle, er habe vollstes Verständnis, daß sie
sich dort unwohl fühle, aber es sei doch Unsinn, daß die beiden jetzt noch,
spät in der Nacht, den langen Weg ins Quartier Latin zurücklegten und Geld für
ein Taxi bezahlten. Max könne im Zimmer 27 nächtigen, er und Ellie in einem
anderen der drei verfügbaren Gästezimmer. Am Morgen dann treffe man sich im
Speisesaal zum Frühstück – wie eine Familie. Und Pierre umarmte erst Max, dann
Ellie, er war klar artikulierter Worte kaum noch mächtig, doch um so mehr auf
Harmonie bedacht. Er empfand es als Affront, daß die beiden aufstanden,
ausgekaute Floskeln murmelten und gute Nacht wünschten.
    Pierre dachte an die Weihnachten mit Julie, das waren oft steife
Anlässe gewesen, aber immer hatte man am Ende zusammengefunden und war
vertraulich geworden, vom Geist des Festes beseelt. Wieso und mit welchem Recht
erdreistete sich Max, über seine ältere Halbschwester zu bestimmen, als sei sie
ein Kind und müsse vor Zudringlichkeiten beschützt werden. Das war lächerlich
und impertinent. Pierre konnte sich damit nicht abfinden. Diesmal nicht.
    Ellie ist meine Prinzessin. Lang lebe Ellie. Hurra!
    Geh schlafen, sagte ihm Max ins Gesicht, du bist besoffen und weißt
nicht, was du redest
    Ach? Ist das so? Wirklich? Du kannst mich mal. Du bist nämlich nicht
Ellies Vater, weißgott nicht, du mischst dich in Dinge, die Erwachsene unter
sich ausmachen sollten.
    Max gab ihm statt einer Antwort einen Schubser, Pierre geriet aus
dem Gleichgewicht, plumpste auf das Kanapee und lallte sinngemäß, aber für
niemanden mehr verständlich, wie unbotmäßig er das finde. Er

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