Nicht ganz schlechte Menschen
haschte nach dem
Arm seiner Geliebten. Die aber tat, als würde sie sich für ihn schämen oder
wolle sich heraushalten, stieß ihn zurück, das war – allerhand. Ungehörig. Eine
Verschwörung. An mehr erinnerte sich Pierre am Morgen nicht. Offenbar hatte er
auf dem Kanapee im Büro genächtigt, Max und Ellie aber woanders, weit weg. Ihm
war kalt, und er dachte darüber nach, ob und wem er böse sein mußte, durfte,
sollte.
In der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr war das
Zimmer 27 an fast jedem Tag ausgebucht. Xavier Chapelle blieb nichts anderes
übrig, als auch das akustisch nicht so abgelegene Zimmer 26 für einen
Spezialtarif anzubieten. Die 20 Francs, die Max zugestanden hätten, wanderten
derweil in seine Tasche. Als das herauskam, geriet Max mit Xavier in einen
heftigen Streit. Max forderte von Pierre, daß er seinen Sous-Chef hinauswerfen
solle. Wegen Unterschleifs. Und um einen lästigen Mitwisser loszuwerden. Pierre
meinte, daß das aufgrund von Xaviers langjährigen Verdiensten nicht in Frage
komme. Max solle sich mit Xavier einigen, auch finanziell. Und Xavier warf er
vor, daß er das Hotel in eine Art Bordell verwandeln würde, aus Geldgier. Man
setzte sich zusammen, war aufeinander angewiesen, teilte die zusätzlichen
Einnahmen in drei gleiche Summen. Es wurde ferner beschlossen, daß keinesfalls
mehr als zwei Zimmer ohne Eintrag ins Gästebuch bewohnt werden dürften. Und
sollte die Nachfrage noch so groß sein.
Silvester
wollten Max und Ellie für sich feiern, so hatte es Max beschlossen und Pierre
davon mit wenigen Worten in Kenntnis gesetzt. Der nahm inzwischen an, er habe
sich an Heiligabend irgendwie, ohne sich daran erinnern zu können,
danebenbenommen. Es stieß ihm sauer auf, wie sehr seine Geliebte unter dem
Kommando des Halbbruders stand, er zog jedoch ein eigenes Fehlverhalten in
Betracht. Vielleicht waren seine gegen die Verabredung gemachten Geschenke ein
Grund gewesen, aber ihn deswegen so zu bestrafen, schien unverhältnismäßig.
Pierre Geising hatte den Silvesterabend fünfzehn Jahre lang mit Julie gefeiert,
und ihm wurde schlecht bei der Vorstellung, wie sie nun feiern würde, er mochte
gar nicht daran denken. Also betrank er sich in der leeren Wohnung, was blieb
ihm sonst übrig? Und ging früh und zornig zu Bett. Vorher verbrannte er eines
von Julies besten Ballkleidern auf dem Balkon, was ihm am nächsten
Morgen kindisch und rachsüchtig vorkam, einerlei, welche Befriedigung er
angetrunken daraus gezogen hatte.
Max und Ellie sahen sich um Mitternacht das Feuerwerk auf dem Place
de la Concorde an, sie küssten sich und wärmten einander und vermieden das
Thema Pierre, als existiere er nicht. Hier sind, sagte Max in feierlichem Ton,
so viele Menschen geköpft worden. Heute wirkt die Meute wie ein Haufen
glücklicher Säuglinge, satt von Lichtern – und wir sind nur zwei Schaufeln voll
Mensch, Touristen im Schicksal.
Ellie verstand nicht, was Max damit sagen wollte, aber sie nickte,
von seinem Tonfall beeindruckt. Und ging ihm unwillentlich auf die Nerven,
indem sie seit einer Woche ständig das Couplet trällerte, das Pola Negri im
Film von sich gegeben hatte:
Mein Herz hat Heimweh nach deiner Liebe
und in Gedanken bin ich immer bei dir
Schenkst du auch andern heut deine Liebe
brennt doch die Sehnsucht wie ein Feuer in mir
Du bleibst mir fern, doch für alle Zeiten
wird mich dein Bild Tag und Nacht begleiten.
Wenn es auch tausend andre gibt
ich hab nur dich geliebt
und du bleibst der einzige Mann
dem ich gehören kann.
Undsoweiter.
Karl
hatte die ersten Vorlesungen hinter sich gebracht. Nun wußte er einiges über
den menschlichen Blutkreislauf, vieles andere blieb im Ungewissen. Sein Geld
ging zur Neige und er überlegte, wo und welche Arbeit er bekommen könnte. Er
heftete an der Uni einen Zettel ans schwarze Brett, auf dem er sich, wie es
ursprünglich einmal sein Plan gewesen war, als Nachhilfelehrer anbot, für
Latein, Mathematik, Französisch und Englisch. Die wenigen Studenten, die darauf
reagierten, zeigten sich mit Karls Honorarvorstellungen nicht einverstanden und
schüttelten den Kopf.
Mitte Januar traf ein Brief von Eric ein. Der Engländer hatte sich
damals beim Abschied Karls Adresse aufgeschrieben und versprochen, von sich
hören zu lassen, wenn er wieder in der Stadt wäre. Ernsthaft damit gerechnet
hatte Karl nicht. Es war ein Brief von der aragonischen Front.
Lieber Karl,
ich
befinde mich in Alcubierre, in den Hügeln nordwestlich von
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