Nicht ganz schlechte Menschen
Saragossa. Es ist
langweilig hier, es ereignet sich gar nichts. Zwischen uns und den
Schützengräben der Faschisten liegen 750 Meter. Hin und wieder pfeift uns eine
Kugel um die Ohren, aber es wäre reiner Dusel – oder enormes Pech, je nachdem –, wenn ein Geschoß treffen sollte. Offensiven ergeben wenig Sinn, Stellungen
wie diese sind von der Infanterie ohne eine überwältigende Überlegenheit nicht
einzunehmen. Anders wäre es mit Artillerieunterstützung, aber wir haben keine.
Die Faschisten zum Glück auch nicht. Die erste Waffe, die man mir in die Hand
gab, stell dir vor, war ein deutsches Mausergewehr aus dem Jahr 1896. Immerhin
kann man jemanden damit erschlagen. Jeder Soldat muß mit fünfzig Patronen
auskommen, meistens handelt es sich um wiedergefüllte Hülsen, die selbst in den
besten Gewehren klemmen. Ein bißchen besser ist die mexikanische, und wirklich
gut ist nur die deutsche Munition, aber die bekommen wir nur von Gefangenen und
Deserteuren. Die Hälfte unserer ›Männer‹ sind fünfzehn- bis siebzehnjährige
Kinder. Auch elf- und zwölfjährige Milizionäre habe ich gesehen. Manche sind
aus Begeisterung hier, andere wurden von ihren Eltern des Soldes wegen ins Feld
geschickt. Zehn Peseten Lohn erhält täglich jeder, vom General bis zum
einfachen Soldaten, und jeder verkehrt mit den anderen auf der Grundlage
völliger Gleichheit. Im Zweifelsfall entscheidet auch mal das Los – was seine
Nachteile hat. So wurde das beste Gewehr nicht etwa jemandem gegeben, der damit
umgehen kann, sondern einem fünfzehnjährigen Fiesling, einem Maricon , das heißt einem
Homosexuellen. Es ist kalt hier, ich habe sechs Jacken und drei Hosen übereinander
an, und friere dennoch. Das Problem ist es, Brennholz zu finden. Die Gegend hat
kaum noch einen bleistiftschmalen Ast übriggelassen. Das brüchige Kalkgestein
schneidet das Schuhwerk in Stücke. Morgens ergießt sich der Nebel wie eine
Flüssigkeit in die Schützengräben, und eine Viertelstunde Regen genügt, um die
Verhältnisse unerträglich zu machen. Es mangelt an Maschinenöl. Die Gewehre
werden mit Olivenöl geschmiert, sogar mit Bratfett. Wenigstens ist das Essen
ganz gut, und es gibt viel Wein – gut einen Liter – und ein Päckchen Zigaretten
pro Tag und Mann. Der Tagesablauf ist immer derselbe: Wache schieben, auf
Spähtrupp gehen und graben, graben, graben. Wir haben ein paar kleine Kerzen,
wie man sie auf Geburtstagstorten steckt, sie brennen acht Minuten. Im Falle
eines nächtlichen Angriffs entscheidet dieses bißchen Licht über die nötige
Orientierung, also über Leben und Tod. Selbst die Landschaft bietet einen
deprimierenden Eindruck. Überall leere, von menschlichem Kot überkrustete
Stoppelfelder. Auch die Kirchen werden als Latrine benutzt, und manche
Kameraden kacken einfach überallhin, selbst einen halben Meter von ihrer
Schlafstelle entfernt. Man gewöhnt sich daran. Auch an die Läuse. Für fünfzig
Mann gibt es jeweils ein Maschinengewehr. Während meiner Ausbildung mußte ich
sinnlos exerzieren, es gab keine Unterweisung in Waffenkunde, da Waffen
schlicht nicht vorhanden waren. Die sogenannte F.A.I. -Handgranate wird spöttisch
als neutrales Kriegsgerät bezeichnet, sie tötet den Mann, der sie wirft, oder
den, auf den sie geworfen wird, vielleicht sogar beide. Vier von fünf
Verwundungen, die ich hier miterlebt habe, entstanden im Umgang mit den eigenen
Gewehren. Ich habe in diesem Brief ein paarmal von Soldaten geschrieben, aber niemand von
Verstand könnte unsre Haufen teils minderjähriger, teils debattierfreudiger
Dilettanten mit Soldaten verwechseln. Die Spanier haben etliche Talente.
Kriegführung gehört eher nicht dazu. Die Unterversorgung an Munition und Waffen
unseres Frontabschnitts seitens der Zentralregierung scheint mir eklatant. Die
29. Division, der ich angehöre, besteht fast nur aus Milizen der POUM . Hier an der Front gibt es dankenswerterweise nicht die geringsten
Feindseligkeiten zwischen POUM und PSUC . Während in den stalinistischen Zeitungen allerhand Gehässiges über
uns verbreitet wird. Schenk diesem Schwachsinn bitte keinen Glauben. Wenn man
uns das Nötigste an Feuerkraft gäbe, täten wir nichts lieber, als die
Initiative zu ergreifen. Alles ist besser als Ödnis und Ohnmacht. Einem
Pazifisten wie dir wird das fragwürdig erscheinen, und wenn ich dereinst wieder
im sicheren England bin, wird es mir vielleicht ebenso ergehen. Ein paarmal
habe ich aus großer, aus sehr großer Entfernung auf
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