Nicht ganz schlechte Menschen
einen Menschen geschossen.
Die Wahrscheinlichkeit, ihn getroffen zu haben, schätze ich als
verschwindend gering ein.
Ich habe noch eine Bitte. Könntest du mir evtl. Streichhölzer
und ein, zwei Kilo Tabak schicken? Streichhölzer sind knapp, aber
lebensnotwendig, und den Tabak brauche ich als Tauschware. Heller Tabak wäre
ganz grandios, der ist hier einiges wert. Wenn du nur normalen bekommst,
beschwere ich mich nicht. Das Geld dafür gebe ich dir selbstredend bei meinem
nächsten Urlaub, außer wenn ich zu diesem Zeitpunkt tot sein sollte. Und am
dritten Tag nicht auferstanden bin. Was beides nicht sehr wahrscheinlich ist,
ich möchte dennoch auf die Möglichkeit hingewiesen haben. Nicht, daß du mich
als Gauner in Erinnerung behältst. Bald wird meine Frau in Barcelona
eintreffen, du kannst dir dein Geld, als weitere Sicherheit, auch von ihr
holen. Die Chancen, daß dein Paket hier eintrifft, stehen gar nicht so
schlecht. Und sie erhöhen sich noch, wenn du deutlich schreibst: An Eric Blair, Ingles – befreundete Ausländer sind den Spaniern nämlich heilig. Wenigstens das ist ein
positiver Aspekt dieses Krieges: Selten bin ich im Leben so viele
Freundschaften eingegangen, es tröstet über so manches hinweg. Lass es dir gut
gehen im schönen Barcelona, auf ein baldiges Wiedersehen, es grüßt dich, sehr
herzlich, dein Eric.
Zur
selben Zeit, während die faschistische Wintergroßoffensive vor Madrid
scheiterte, bekam Pierre Geising in Paris einen anderen Brief. Der stammte von
seiner Frau, Julie, und es vergingen Stunden, bevor Pierre sich dazu durchrang,
ihn zu öffnen. Zu erwarten stand, daß Julie ihrer gemeinsamen Ehe ein
grausames Ende bereiten würde, und Pierre fürchtete sich vor einer Demütigung.
Was er dann las, konnte grausamer und demütigender nicht sein.
Menton, 15. Januar 1937
Mein lieber Pierre,
mit diesem Brief möchte ich dir persönlich und ohne jedes
Gefühl der Feindseligkeit mitteilen, daß ich gestorben bin. Ich habe Bertrande,
meine Haushälterin, gebeten, ihn an dich zu senden, sobald meine Zeit auf Erden
verronnen ist. Ich habe mich ja ein wenig gewundert, daß du mir in den letzten
Wochen nicht mehr geschrieben hast, aber es hat mich auch und vor allem
gefreut, ich nehme an, du wolltest meinen Wunsch nach Abgeschiedenheit und
Stille respektieren. Mir hätte auch die Kraft gefehlt, die richtigen Worte zu
finden, gar solche des Trostes und der Zuversicht. Nun bin ich, wenn der gütige
Vater mich annimmt, oben bei ihm. Ich zeichne diese Zeilen auf, bevor mich die
Erstickungsanfälle am Schreiben hindern werden, so kommen in diesem Brief die
Tempi der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft etwas durcheinander. Ich möchte
in Menton begraben werden, auf dem kleinen Friedhof, der nicht weit nördlich
von jenem Haus liegt, in dem wir unsere Flitterwochen verbracht haben. Es ist
über den Winter an Madame und Monsieur Arac vermietet. Zuerst wollte ich selbst
darin wohnen, aber es ist so groß, da hab ich mir zwei Zimmer ganz nah am Meer
besorgt. Die Seeluft konnte mich nicht heilen, aber gutgetan hat es, aufs Meer
hinauszusehen, der Mensch wird dann so klein und alles relativ auf dieser schönen
Welt. Leider wird dir nicht erspart bleiben, einen Ausflug nach dem Süden zu
unternehmen, du mußt, wie es aussieht, ein paar Papiere unterschreiben, bevor
mein Sarg der Erde übergeben werden darf. Bürokratie.
Mein lieber Mann, wir hatten unsere schönen Jahre, und danach,
naja, hast du mir den Freiraum gewährt, der mir so wichtig und notwendig war.
Ich konnte nicht in allen Belangen die Ehefrau sein, die du dir erhofft haben
magst, verzeih mir das bitte. Auf unsre ganz eigene Weise haben wir uns doch arrangieren
können. Das glaube, vielmehr hoffe ich. Vielleicht sehen wir uns eines Tages
wieder, dann werde ich dich vor Gott als meinen Gatten umarmen – und schließe
diesen Brief mit einem Gebet. Mögest du noch viele Jahre glücklich leben, das
wünscht dir von Herzen
Deine Julie.
PS . Du wirst es als Sentimentalität
sehen und keinen ökonomischen Sinn darin erkennen, dennoch: Wenn es irgend
geht, behalte das Haus in Menton. Vielleicht verbringst du einmal deinen
Lebensabend dort. Dann würden wir uns wieder nahe sein. Wie einst, an diesem
zauberhaften Ort.
Pierre
meldete sich krank. Er wollte niemanden sehen und sprechen. Zwei Tage lang nahm
er keine Nahrung zu sich, nur ein Glas Tee, das Ellie ihm aufnötigte.
Inzwischen war auch die offizielle Mitteilung eingetroffen, daß Madame
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