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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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herrliche Kaffeeduft die ganze Küche.
    »Wahrscheinlich gibt es gar keine Zugverbindung mehr da raus«, meinte Mama und fuhr sich durch die Haare. Die vielen grauen Strähnen machten mich traurig. »Und selbst wenn du es bis zu ihr schaffst – woher willst du wissen, ob ihre Verwandten vertrauenswürdig sind?«
    »Ich könnte mich nachts aus dem Staub machen und mir zwischen den Trümmern einen Unterschlupf suchen, wo ich mich einrichten kann«, schlug Raffi vor. »Und ihr versorgt mich mit Essen …«
    Mama schüttelte den Kopf. »Zu gefährlich. Und nachts zu kalt. Du würdest erfrieren.«
    »Wenn doch nur Paula nicht weggezogen wäre. Sie und ihre Mutter hätten bestimmt eine Lösung gewusst«, sagte ich.
    »Schon«, entgegnete Raffi, »aber sie sind deine Freunde. Auch aus diesem Grund wäre es keine gute Idee, sich an Katrin zu wenden. Zwischen euch gibt es eine klare Verbindung. Glaubst du etwa, die Gestapo würde dieser Spur nicht folgen? Möglicherweise wüsste der Vorarbeiter aus dem Gaswerk jemanden, aber ich kenne seine Adresse nicht.«
    »Und wenn ich es mal im Versammlungshaus der Quäker versuche?«, überlegte Mama. »Falls es noch steht. Ich könnte so tun, als brächte ich Nachrichten von Papa. Als er gefangen genommen wurde, habe ich ihnen geschrieben.« Sie lächelte traurig. »Einen Ausweg, wie Papa immer gesagt hat, den brauchen wir jetzt.«
    Ich dachte an Papa und sehnte mich mehr denn je nach ihm, denn er wüsste ganz bestimmt, welche Quäker uns helfen könnten. Oder war das eine kindische Vorstellung? Jetzt waren wir ganz auf uns gestellt.
    »Es ist für jeden, an den man sich wendet, eine Zumutung«, stellte Raffi fest und kaute auf seiner Unterlippe herum.
    Ich legte die Arme um ihn.
    »Du bist es wert. Am liebsten wäre es mir allerdings, wenn Frau Besenstiel in einem Fluss in Bayern ertrinken würde, damit wären alle Probleme gelöst.«
    »Es ist meine Schuld, ich hätte in jener Nacht nicht rausgehen dürfen«, sagte Raffi.
    »Das ist jetzt nicht mehr zu ändern, Raffi«, entgegnete Mama scharf. »Also hör auf, dir Vorwürfe zu machen.«
    Ich lag im Bett in Raffis Armen. Keiner von uns schlief, aber wir redeten auch nicht. Ich dachte: Vielleicht machen wir uns unnötige Sorgen. Vielleicht geschieht ja überhaupt nichts, auch wenn er hierbleibt. Aber dann musste ich an die Folgen denken, falls wir erwischt wurden. Sie würden Raffi in einen Viehwaggon stecken und in eines dieser Lager abtransportieren, wo sie Juden vergasten. Tante Grete würde Papa einen Brief schreiben und ihm erzählen, was passiert war. Wie viele Wörter wären dafür nötig? Jenny und Sylvia hingerichtet. Haben Juden versteckt. Jude deportiert. Neun. Da wäre sogar noch Platz für den Zusatz: Mein Beileid, dass deine Familie so dumm ist. Wer wird sich jetzt nach dem Krieg für uns einsetzen? Ich begann zu zittern, und Raffi hielt mich fester, aber immer noch sprachen wir kein Wort.
    Am nächsten Tag lieferte ich Schneewittchen und die Sieben Zwerge an Herrn von Himmelreins Adresse. Er wohnte in einer großen Villa in der Nähe des U-Bahnhofs Dahlem. Eigentlich war es nicht schwer zu finden, doch vom U-Bahnhof aus wandte ich mich nach rechts anstatt nach links. Die erste Nebenstraße, die ich kreuzte, hieß Quellengasse, und als ich das Straßenschild las, dachte ich: Jemand hat mir doch einmal erzählt, dass er dort wohnt. Aber ich hatte keine Ahnung mehr, wer es gewesen war. Auf meinem weiteren Weg entdeckte ich keinen der markanten Punkte, die mir Herr von Himmelrein bei der Wegbeschreibung genannt hatte. Daran merkte ich, dass ich die falsche Richtung eingeschlagen hatte. Im Eilschritt ging ich die Strecke zurück – ich wollte mich nicht verspäten –, und wieder fiel mir die Abzweigung zur Quellengasse auf. Ich dachte: Es war jemand mit einem Hund. Bloß wer?
    Schließlich erreichte ich Herrn von Himmelreins Villa. Das Nachbarhaus war zerstört worden und die daran anschließenden Gebäude waren zu stark beschädigt, um noch bewohnbar zu sein. In den Gärten lagen die typischen umgestürzten Bäume mit den hilflos in die Luft gereckten Wurzeln. Doch die von Himmelrein’sche Villa war unversehrt, samt den cremefarbenen Stuckverzierungen und dem Efeu, dessen Blätter in der Wintersonne blitzten, einem Portikus und säulengestützten Balkonen im ersten und zweiten Stock, über denen ein Zwiebeltürmchen aufragte. Die Villa gefiel mir.
    Das Mädchen öffnete mir und führte mich in ein großes Wohnzimmer

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