Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
Vom Netzwerk:
mit eleganten, mit mattem Blattgold verzierten Möbeln und chinesischen Tapeten. Herr von Himmelrein kam herein, öffnete das Paket, sagte lächelnd: »Meine Enkel werden begeistert sein«, und gab mir sofort das Geld. Er hatte festes weißes Haar und einen ordentlich gestutzten Schnurr- und Kinnbart. Seine Frau war mit Tante Grete befreundet, aber er hatte mich mit »Guten Morgen« begrüßt und nicht mit »Heil Hitler«, also war er wohl kein echter Nazi. Ich fand ihn nett, und plötzlich fiel mir ein, wer in der Quellengasse wohnte. Die Quäkerin mit den beiden Rauhaardackeln und der Gartenschere im Mantel. Agnes Hummel.
    Manche Dinge sind im Kopf schon entschieden, bevor man noch das Für und Wider erwägen kann. Ich wusste, dass ich mit ihr den Ausweg gefunden hatte.
    Das Mädchen brachte uns den Kaffee – guten Kaffee, wahrscheinlich echten Bohnenkaffee –, und ich zwang mich, mit Herrn von Himmelrein über die Luftangriffe und meine Arbeit und seine Enkel zu plaudern. Er wollte mich mit seinem Auto nach Hause bringen. Ich sagte, das sei wirklich sehr freundlich, aber ich würde lieber zu Fuß gehen. Vielleicht war er erleichtert, dass ich ablehnte, wegen des rationierten Benzins, aber weil er ein Gentleman war, machte er noch einen Versuch, mich zu überreden, ehe er aufgab. Zum Abschied gab er mir einen Handkuss.
    Ich ging zu Fuß zurück, vorbei an dem Fachwerkgebäude, in dem der Bahnhof untergebracht war. Ich weiß noch, dass vor mir im Gully eine Zeitung flatterte und wie sich eine alte Dame bückte, um sie aufzuheben und mich dabei böse anfunkelte – vielleicht dachte sie, ich hätte sie fallen gelassen? Als ich nur die Achseln zuckte, bemerkte sie: »Das sind die modernen Sitten, ihr jungen Leute schert euch nicht um Sauberkeit und Ordnung.«
    Es erschien mir sinnlos, etwas darauf zu erwidern, dabei hätte ich nie eine Zeitung weggeworfen, nicht einmal eine Seite aus einem Naziblatt. Ich hätte sie zum Anfeuern nach Hause mitgenommen. Vor mir sah ich schon die Abzweigung zur Quellengasse. Ich ging schneller und ließ die Frau stehen.
    In der Quellengasse gab es nur vier Häuser, die geräumig, wenn auch nicht so stattlich waren wie Herrn von Himmelreins Villa. Sie standen ein gutes Stück zurückversetzt von der Straße und jedes hatte einen großen Garten. Ich kannte Agnes Hummels Hausnummer nicht, was jedoch kein Problem sein würde, sofern ihr Name auf dem Briefkasten am Gartentor stand. Hier waren keine Bomben gefallen, und die Birken in den Gärten standen aufrecht, aber sie zitterten im Wind, als würden sie sich fürchten. Das erste Haus war ein Fachwerkhaus wie das von Onkel Hartmut und auf dem Briefkasten stand Hubertius. Schräg gegenüber war alles verrammelt. Die Bewohner mussten Berlin wegen der Luftangriffe verlassen haben. Kein Name auf dem Briefkasten. Das dritte Haus war nicht verlassen, doch der Garten war ungepflegt. Ich dachte an die Gartenschere in Frau Hummels Manteltasche und glaubte nicht, dass sie hier wohnte, obwohl auch hier nur die Hausnummer und kein Name auf dem Briefkasten stand. Das letzte Haus sah am vielversprechendsten aus. Es war hellgelb getüncht, hatte ein orangerotes Dach, und an der Fassade rankte sich eine Kletterrose empor, von der man zu dieser Jahreszeit nur nackte Dornenzweige sah. Neben dem Haus standen Beerensträucher, und es gab mehrere wunderschöne Blautannen mit mächtigen Kronen. Sogar im Winter war der Garten schön gestaltet, und auf dem Briefkasten stand Hummel.
    Das Tor ließ sich ohne Quietschen öffnen, es wurde offenbar regelmäßig geölt. An der Haustür betätigte ich den Türklopfer in Form eines Dackels und horchte. Ich erwartete Hundegebell, aber im Haus rührte sich nichts. Nur eine Uhr hörte ich ticken, das war alles, und dann schlug sie zwölf Mal. Ich dachte: Wenn ich nur etwas zum Schreiben dabeihätte, dann könnte ich ihr eine Nachricht hinterlassen – nein, das war eine schlechte Idee, besser nichts schriftlich festhalten. Wieder kam Wind auf und eine Wolke legte sich über die Sonne. Auf einmal war alles grau.
    Als ich das Tor hinter mir schloss, sah ich sie mit einer Einkaufstasche die Straße heraufkommen – im gleichen Mantel wie bei der Quäkerversammlung vor vier Jahren und mit Kopftuch. Sie legte den Kopf zur Seite und musterte mich mit leicht gerunzelter Stirn, wie man es tut, wenn man jemanden von irgendwoher kennt, aber nicht mehr weiß, woher.
    Ich sagte: »Ich bin Jenny Friedemann.«
    »Aha«, war alles,

Weitere Kostenlose Bücher