Nicht ohne dich
Grinsen.
»Sei still«, befahl Tante Grete noch einmal. »So etwas sagt man nicht, Kunigunde.«
»Ich schon«, widersprach Kunigunde. Aber selbst die Schadenfreude in ihrer Stimme war nichts gegen das, was die Gestapo vielleicht mit Papa und Onkel Markus anstellte.
Minna kam mit einem Silbertablett, auf dem Kaffee, Kakao und eine Keksschale standen. Ich wollte nichts. Es hätte sowieso nur nach Tante Gretes ekelhaftem Parfüm geschmeckt. Kunigunde lockte Schnucki mit einer Zitronenwaffel, die sich den Keks schnappte und dann schnell wieder verzog. Tante Grete klopfte mit ihren Plateausohlen auf den Boden und nestelte nervös an ihren Perlenohrclips herum. Dann hörte wir, wie draußen ein großes Auto hielt. Onkel Hartmut war nach Hause gekommen.
Er zitierte uns in sein Arbeitszimmer, bot aber keinem von uns einen Stuhl an. An Karl gewandt sagte er: »Und was soll ich jetzt bitte schön tun? Dein Vater hat sich die Grube, in die er hineingefallen ist, selbst gegraben. Jeder hat es kommen sehen. Und was den Juden betrifft …«
So sagte er es. »Den Juden.« Während Tante Edith und Raffi danebenstanden.
Onkel Hartmut war von stämmiger Statur, und er wirkte erbost, wie er in seinem Anzug hinter dem riesigen polierten Schreibtisch saß. »Ich kann nicht fassen, dass du mich deswegen aus der Arbeit geholt hast«, sagte er zu Tante Grete.
Hildegard und Kunigunde lehnten am Türrahmen, Hildegard hatte Schnucki hochgenommen und drückte sie an sich.
Karl ergriff das Wort. »Onkel Markus ist Papas bester Freund, da hat er natürlich versucht, seine Verhaftung zu verhindern.«
»Dein Vater ist eine Schande für mich«, sagte Onkel Hartmut. »Sein bester Freund ist Jude und er selbst einer von diesen Quäkern , diesem Haufen Unruhestifter. Wie viele von denen gibt es wohl? Ein paar Hundert in Deutschland? Hast du eigentlich eine Vorstellung davon, welche Gräuelgeschichten sie im Ausland über uns verbreiten?«
Ich jedenfalls wusste Bescheid. Zwar nicht von Papa selbst, weil er Karl und mich nicht mit den gefährlichen Dingen, die er tat, belasten wollte. Aber er und Mama redeten heimlich über solche Sachen, wenn sie glaubten, dass wir nicht zuhörten, und wir hüteten uns, es irgendwem weiterzuerzählen. Ich hatte gehört, dass Quäker aus England und Amerika nach Berlin kamen, um sich ein Bild von den Zuständen zu machen.
Karl hob an zu sprechen, und ich war sicher, dass er gleich sagen würde, das seien keine Gräuelgeschichten, das wüssten wir nach allem, was heute passiert war. Ich spürte wieder die Hand des Mannes an meiner Schulter, ich sah seinen toten Körper auf dem Straßenpflaster, sah, wie sie Papa traten. Plötzlich war mir eiskalt und ich schlang die Arme um mich. Aber Onkel Hartmut war noch nicht fertig. »Der Führer tut das Richtige für unser Land, hört ihr, Karl, Jenny? Wer in einem Konzentrationslager landet, hat es auch verdient, und das Schlimmste, was denen dort passiert, ist, dass sie ein bisschen schwere Arbeit verrichten müssen. Ganz egal, was du von deinem närrischen Vater auch gehört haben magst. Was weiß ein Puppenmacher schon davon? Und was die Juden betrifft – später einmal werden uns die Menschen auf der ganzen Welt für das dankbar sein, was wir heute tun. Trotzdem verschicken diese elenden Quäker in diesem Augenblick Briefe, in denen steht, dass wir brutal vorgehen – aber geht denn nicht auch ein Chirurg, der seinem Patienten den Krebs herausschneidet, brutal vor?«
Tante Edith konnte ihn nicht länger ansehen. Ich streckte meine kalte Hand nach ihrer aus, die ebenso eiskalt war. Wir waren völlig umsonst gekommen.
Er fuhr fort: »Die Juden haben nur eines im Sinn, Deutschland zu ruinieren, indem sie einerseits kommunistische Unruhen anzetteln und andererseits die Finanzmärkte in Amerika manipulieren – wir werden an zwei Fronten angegriffen.«
»Mein Vater ist 1917 mit seiner Kompanie ins Niemandsland vorgestoßen, und nach einer Stunde waren nur noch zehn Männer am Leben, aber sie haben ein französisches Maschinengewehrnest ausgehoben. Dafür wurde ihm das Eiserne Kreuz verliehen. Klingt das nach einem Mann, der sein Land ruinieren möchte?«, brach es aus Raffi heraus.
Onkel Hartmut wirkte, als habe er es nicht gehört. Doch Hildegard flüsterte Kunigunde zu: »Er ist ganz niedlich, findest du nicht? Wenn er kein Jude wäre, könnte er mir gefallen.«
Das hörte Onkel Hartmut allerdings. Er erhob sich vom Schreibtisch, trat auf sie zu und verpasste
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