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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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werden für Tante Edith und Raffi bürgen. Sie können sogar bei ihnen in Oxford wohnen, bis sie etwas Eigenes gefunden haben.«
    Unsere Hoffnung hatte sich erfüllt. Ich starrte auf die Geranien auf dem Balkon und sagte das Erste, was mir in den Sinn kam. »Raffi wird bei ihnen als Gärtnergehilfe arbeiten, um sich erkenntlich zu zeigen.«
    »Unsinn«, entgegnete Mama ungeduldig. »Er wird natürlich zur Schule gehen. Die Montgomerys nehmen sie als Gäste auf.«
    Auf einmal bekam ich einen Hass auf die fröhlich blühenden roten Geranien, sie kamen mir so herzlos vor. Mein einziger Gedanke war: Raffi und Tante Edith gehen weg.
    »Raffi möchte aber von niemandem abhängig sein«, sagte ich.
    »Er wird ausnahmsweise einmal das tun, was man von ihm verlangt«, entgegnete Mama. Sie hob eine Stecknadel auf, die sich aufs Sofa verirrt hatte, und steckte sie in die Schachtel.
    »Und wann fahren sie?«, wollte ich wissen.
    Mama seufzte. »Die Bürgen müssen erst an das Home Office schreiben, das ist das britische Innenministerium, und bescheinigen, dass ihre jüdischen Gäste niemals dem Staat zur Last fallen werden. Dann wird ein Einreisevisum ausgestellt, ich weiß nicht, wie schnell das geht. Außerdem müssen Tante Edith und Raffi auch noch ein Ausreisevisum aus Deutschland beantragen, und das dauert.«
    »Ich dachte, die Nazis wollen, dass die Juden Deutschland verlassen«, wandte ich ein.
    Mama nahm den Rock von der Sofalehne und inspizierte kritisch den Saum. »Das schon, aber sie wollen ihnen auch das Leben schwer machen. Ich hoffe nur, dass nicht der Krieg ausbricht, ehe alles über die Bühne gegangen ist.«
    Sie hatte »der Krieg« gesagt. Als müsste es unweigerlich dazu kommen. Und dann stünden wir auf der einen und Tante Edith und Raffi auf der anderen Seite. Diese Vorstellung hielt ich nicht aus. Ich schrie Mama an.
    »Warum habt ihr Hitler nicht aufgehalten, bevor er all diese schrecklichen Dinge tun konnte?«
    Es war nur aus mir herausgebrochen, weil ich so aufgewühlt war und solche Angst hatte, aber Mama reagierte wütend. »Jenny! Jetzt habe ich genug von deiner Unverschämtheit. So redest du nicht mit mir …«
    Wutentbrannt stürmte ich aus dem Wohnzimmer und schmetterte die Tür hinter mir zu. Mama schrie mir etwas nach, und Muffi bellte, weil ich sie eingeschlossen hatte, aber das war mir egal. Ich lief in Karls Zimmer und sagte zu ihm: »Die Erwachsenen hätten etwas unternehmen sollen, bevor es so weit gekommen ist.«
    Er hockte auf dem Boden und stemmte die Hanteln, die er vor einem Jahr bekommen hatte. Jetzt legte er sie ab und sah mich an. »War das der Grund für den ganzen Krach?«
    »Regt es dich denn nicht auf?«, fragte ich.
    Er stand auf. »Ich rege mich nicht gerne auf.«
    Das stimmte. Genau wie Papa. Mama und ich waren diejenigen, die schnell aus der Haut fuhren, wir hatten eben das gleiche Temperament.
    »Ich weiß, wie schlimm alles ist, Schwesterchen …«, sagte er.
    »Mit deinem Hanteltraining könntest du allmählich stark genug sein, die Nazis zu vermöbeln, du bist doch in der Hitlerjugend. Und ich kann es nicht leiden, wenn du so von oben herab mit mir redest.«
    Er runzelte die Stirn. »Ich bin kein Nazi, Jenny. Und ich will auch gar nicht herablassend zu dir sein …«
    »Spar dir die Mühe«, fuhr ich ihn an, »du kannst ja gar nicht anders.«
    Am Abend schickte mich Mama in die Werkstatt, um Papa eine Tasse Kaffee zu bringen. Er machte Überstunden und schnitzte Marionetten auf Vorrat, damit Mama für den Fall, dass er eingezogen wurde, etwas zu verkaufen hatte. Manchmal arbeitete er bis neun oder zehn Uhr abends daran. Ich hatte ihm schon öfter Kaffee gebracht, aber dieses Mal hatten sie es abgesprochen, damit Papa mit mir reden konnte, das hörte ich an Mamas Ton. Als ich über die Hintertreppe in den Hof hinunterstapfte, schwappte der Kaffee in die Untertasse, deshalb musste ich vor der Tür stehen bleiben, um ihn wieder zurück in die Tasse zu gießen.
    In der Werkstatt lagen überall Hobelspäne und die Luft war erfüllt vom grasigen Duft nach frisch geschnittenem Lindenholz. Das Puppentheater stand so, dass es das Lager und was immer darin aufbewahrt wurde, verbarg.
    Papa arbeitete an einem Marionettenkopf; der Mann hatte eine große, leicht schiefe Nase. Sein Gesicht wirkte traurig und komisch und verträumt zugleich.
    »Wer ist das?«, fragte ich, als ich ihm den Kaffee reichte.
    Er legte den Kopf auf die Werkbank. »Das ist Don Quijote.«
    Papas Werkstatt war

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