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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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mit den Gnomen?«
    »Die sind bei ihren Großeltern«, erklärte Karl. »Jetzt lasst mich meinen Witz fertig erzählen.«
    Schnell fiel ich ihm ins Wort: »Und dann kommen Einbrecher, räumen die Wohnung aus und lassen einen Zettel zurück, auf dem steht: ›Dass wir diesen Raub verüben konnten, verdanken wir dem Führer.‹«
    Karl drohte mir mit der Faust. »Woher kennst du den?«
    »Paula hat ihn mir erzählt«, entgegnete ich. Ich fing an zu lachen, doch dann legte ich den Handrücken vor den Mund und biss mir so fest auf die Knöchel, dass es wehtat.
    »Wir sollten keine Witze erzählen. Nicht jetzt, wo Onkel Markus gestorben ist«, sagte ich.
    Karl machte eine bekümmerte Miene, aber Papa meinte: »Schon gut, Jenny. Markus hätte er bestimmt gefallen.«
    Doch ich hörte ihm gar nicht zu, sondern ging hinaus und schloss mich in meinem Zimmer ein.

Kapitel Sechs
    N achdem Onkel Markus gestorben war, konnten sich Raffi und Tante Edith ungehindert um ihre Emigration aus Deutschland bemühen. Tag für Tag stand Tante Edith schon frühmorgens mit Hunderten anderer Juden an irgendeiner Botschaft Schlange. Für keinen von ihnen standen die Chancen gut, aber Tante Edith gab nicht auf. Da die Ferien gerade begonnen hatten, begleitete Raffi sie.
    Am besten waren die Aussichten auf ein Visum, wenn ein Bürge sich verpflichtete, einen aufzunehmen, damit man dem Land, in das man einreisen wollte, nicht zur Last fiel. Bereits vor einer Ewigkeit hatte Tante Edith an ihren Bruder in Südafrika geschrieben, ebenso an Onkel Markus’ Bruder in New York. Aber keiner von beiden besaß die nötigen Mittel, um für die ganze Familie zu bürgen. Sie hatten angeboten, Raffi allein zu nehmen, aber das lehnte Raffi natürlich ab. Jetzt wandte sich Mama hilfesuchend an ihre Verwandten in England, die Montgomerys.
    Kurz nach der Beerdigung statteten wir Raffi und Tante Edith einen Besuch ab, alle zusammen. Ihre neue Wohnung lag im obersten Stock einer hässlichen Mietskaserne in Moabit. Ich hatte für sie einen Schokoladenkuchen gebacken – Raffi liebte Schokolade – und bei einem Straßenhändler ein Bund Rosen gekauft. Den Umständen zum Trotz hatte ich ganz bewusst die knallroten genommen, auch wenn sie nicht so intensiv leuchteten wie die im Versammlungshaus der Quäker. Nach einem heißen Tag staute sich in dem Gebäude die Hitze. Als wir die letzten Steinstufen in dem muffigen Treppenhaus hochstiegen, waren wir alle außer Atem.
    Tante Edith öffnete die Tür und führte uns in ihr kleines Wohnzimmer. Sie hatte Gesellschaft: Der Rabbi saß auf ihrem abgenutzten Sofa. Offenkundig erfreut, uns zu sehen, stand er auf und lächelte, als ich Tante Edith die Rosen gab. Auf der Beerdigung war ich zu verstört gewesen, um ihn richtig zu registrieren, aber jetzt nahm ich seine dunklen Haare und sein schmales Gesicht wahr. Er trug einen Bart und hinter seinen runden Brillengläsern blickten kluge Augen hervor. Wie es sich gehörte, machte ich einen Knicks, aber ich wusste noch, was er am Grab gesagt hatte, und mochte ihn nicht.
    Als er meinte, er müsse jetzt gehen, fing Papa an, ihn über das Judentum auszufragen – das war typisch Papa, er wollte immer alles über andere Religionen erfahren. Also begannen sich die beiden Männer auf dem Sofa zu unterhalten, während Tante Edith den Kuchen mit in die Küche nahm, weil sie ihn auf eine Kuchenplatte legen wollte. Mama folgte ihr.
    »Kommt in mein Zimmer«, lud Raffi Karl und mich ein.
    Es war eher ein Schrank, nur ein Bett und ein Schreibtisch mit Stuhl hatten darin Platz. Karl und Raffi setzten sich aufs Bett, während ich mich auf den Schreibtisch zwischen Raffis Schulbücher hockte und die Füße auf den Stuhl stellte. Die Wände waren schmutzig braun; Tante Edith konnte kein Geld für Farbe erübrigen. Das Fenster stand weit offen, doch da kein Wind ging, drang nur der Geruch der heißen, staubigen Straßen herein.
    »Wie geht’s euch denn so?«, erkundigte sich Karl bei Raffi. Karl war jetzt siebzehn, großgewachsen, mit braunen Haaren und großen Händen. Er und Raffi wirkten zu groß für den kleinen Raum.
    »Schlecht«, antwortete Raffi. »Hör dir Mama an.«
    Die Wände waren tatsächlich so dünn, dass man hörte, wie sich Tante Edith in der Küche mit Mama unterhielt und weinte. Mama redete tröstend auf sie ein. Bestimmt hatte sie den Arm um Tante Edith gelegt.
    »Es stinkt zum Himmel. Das wollte ich dir eigentlich schon auf der Beerdigung sagen, Raffi, aber ich konnte

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