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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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mein Spielzimmer und mein Kindergarten gewesen. Er hatte mir zu Weihnachten und zum Geburtstag Marionetten geschnitzt, mir ihre Geschichten erzählt und ihre Handhabung beigebracht. Manche der Marionetten waren für das Kindertheater gedacht, aber viele auch für Erwachsenenstücke. Schauspiele und Opern. Romeo und Julia kannte ich schon, seit ich fünf war.
    »Don Quijote, das ist doch der, der gegen die Windmühlen gekämpft hat, oder? Der Verrückte.«
    »Er wollte die Welt verbessern«, sagte Papa, »nur wusste er es nicht recht anzupacken.«
    Das war bestimmt darauf gemünzt, was ich zu Mama gesagt hatte. Ich hob einen Span auf und wickelte ihn mir um den Finger.
    Papa zog sein Taschentuch aus der Hosentasche, wischte sich damit den Schweiß vom Gesicht und der schütteren Stirn und sagte: »Du bist aufgebracht, weil Raffi und Tante Edith weggehen.«
    Ich warf den Span zu Boden. »Du versuchst es auf die verständnisvolle Tour, nicht wahr, Papa? Aber das nützt nichts, weil dein Verständnis die Lage nicht besser macht.«
    »Du hast Mama etwas gefragt«, sagte er.
    »Sie hat gesagt, dass ich unverschämt bin.«
    »Sie ist aufgebracht, wie du. Wegen allem. Und manchmal lasst ihr zwei das aneinander aus.«
    »Ich habe sie trotzdem lieb«, sagte ich.
    »Das weiß ich doch. Aber hier geht es nicht um dich und Mama und warum ihr euch übereinander ärgert. Die Frage ist, warum wir Hitler nicht aufgehalten haben. Und darauf kann ich dir keine einfache Antwort geben.«
    Er trank einen Schluck Kaffee. Ich stand abwartend da. Bei Papa konnte ich nicht davonlaufen, das würde ihm wehtun, und dazu hatte ich ihn zu lieb.
    »Jenny, wir hätten einfach nie gedacht, dass er sich überhaupt halten kann, das ist die Wahrheit. Markus und ich haben uns darüber unterhalten. Obwohl ich nicht an Gewalt glaube, haben wir erwogen zu kämpfen. Aber es hat ja auch keine der anderen Parteien etwas unternommen. Hitler war immerhin von Reichspräsident Hindenburg aufgefordert worden, eine Regierung zu bilden. Er war legitimiert. Ihn zu bekämpfen, hätte Bürgerkrieg bedeutet. Vielleicht wäre ein Bürgerkrieg besser gewesen als das, was jetzt geschieht. Ich werde es nie wissen. Ich wünschte, wir hätten einen Weg gefunden, die Nazis kleinzuhalten, ich wünschte, Markus hätte seine Familie sofort aus Deutschland weggebracht, als die Nazis an die Macht kamen, dann wäre er noch am Leben. Vielleicht hätten auch wir weggehen sollen. Und jetzt …« Er hielt inne.
    »Wird es Krieg geben?«, fragte ich. Eine dumme Frage, das wusste ich, aber ich wollte von ihm hören: Nein, es gibt keinen Krieg. Ich wünschte es mir so sehr.
    »Ich fürchte ja.« Er klang niedergeschlagen. »Und ich werde mitmachen müssen.«
    Mein Bauch wurde ganz kalt und krampfte sich vor Angst zusammen, aber ich sagte: »Wenigstens musst du niemanden töten, Papa. Du kommst wieder zu den Sanitätern.«
    Er lachte mit einem bitteren Unterton, wie ich ihn noch nie bei ihm gehört hatte. »Ich werde viele Männer sterben sehen.« Ich starrte ihn an. Das klang gar nicht nach meinem Papa. Mit der gleichen schroffen Stimme sagte er: »Ganze drei Jahre lang habe ich das im letzten Krieg mitgemacht. Ich dachte, ich hätte mich daran gewöhnt, aber es hat mich hinterher heimgesucht. Immer noch träume ich von den verwundeten Männern, die vor Schmerzen brüllten – vom Gestank nach Blut und Schmutz, vom Surren der Knochensäge, mit der der Chirurg Stunde um Stunde zugange war. Und von den Giftgasopfern mit ihren Erstickungsanfällen …« Er schauderte. »Und das alles für fünfzig Meter Land, das wir am nächsten Tag wieder verloren. Was ist bloß in mich gefahren, dass ich dir das alles erzähle? Entschuldige.«
    Jetzt schämte ich mich dafür, was ich gesagt hatte. Und ich war erschüttert, weil ich keine Ahnung gehabt hatte, wie schlimm der Krieg für ihn gewesen war. Ich fragte ihn: »Hast du oft solche Albträume?«
    Er schob sich die Brille auf die Nasenspitze und sah mich über die Gläser hinweg an. Jetzt strahlte er ganz plötzlich wieder die gewohnte Güte aus. »Was macht dir denn Albträume, Jenny?«
    Oh, ihm konnte man nichts vormachen, meinem Papa. Er nahm seine Mitmenschen wahr, deshalb wirkten seine Marionetten auch so lebendig, und deshalb waren die Puppenspieler auch ganz versessen darauf.
    Erst zögerte ich, dann sprudelte es aus mir hervor: »Ich träume, dass sie Gasbomben auf uns abwerfen. Die Luft wird ganz dick und ich ersticke.« Ich brach ab, weil

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