Nicht ohne dich
ich nicht weinen wollte.
Er nahm mich in die Arme und hielt mich fest. »Jenny, es wird sich irgendein Weg weisen«, sagte er.
»Auch im Krieg?«, fragte ich. Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme zitterte.
»Sogar im Krieg«, versicherte er. Er strich mir übers Haar. »Hör zu, Jenny. Solange wir einander lieb haben und daran festhalten, werden wir einen Weg finden.«
Die Polen hatten einen deutschen Rundfunksender in Gleiwitz überfallen. Der Angriff war vereitelt worden, alle waren tot. So wurde es in den Nachrichten der Nazis verbreitet.
Erbittert sagte Papa: »Ich wüsste zu gerne, was da wirklich passiert ist.«
Am nächsten Tag marschierten die deutschen Truppen mit großem Getöse in Polen ein. Einen Tag später kam Papas Einberufung. Dieses Mal beschlossen die Engländer und Franzosen zu kämpfen.
Mama saß weinend in der Küche und sagte: »Im letzten Krieg haben mich die Leute auf der Straße angespuckt, weil Omi in England geboren ist – und dieses Mal wird Papa da draußen sein und – und Karl –, und was haben uns die Polen eigentlich getan, dass wir bei ihnen einmarschieren und ihre Städte bombardieren?« Sie trocknete sich die Augen. »Und da ist noch etwas, Jenny. Tante Edith hat gerade angerufen. Heute sind ihre Visa gekommen, aber es ist zu spät. Sie können nicht mehr fahren. Es ist so grausam.«
Kapitel Sieben
1939 bis 1940
E s herrschte Krieg, doch nichts geschah. Unsere Truppen waren in Polen – auch Papa war in Polen –, aber wir kämpften nicht gegen die Engländer oder die Franzosen. Und es hatte noch keine Luftangriffe gegeben. Generalfeldmarschall Göring hatte verkündet, wenn auch nur ein einziges feindliches Flugzeug deutsches Reichsgebiet überfliege, wolle er Meyer heißen. Meyer war ein jüdischer Name. Das verstand er unter einem Witz.
Aber ich dachte nur: Wenn es so ist, warum haben sie dann Gasmasken verteilt? Meine Angst blieb. In meiner Maske würde ich ohnehin keine Luft bekommen, da war ich sicher.
Es war ein bitterkalter Winter, ein rauer, eisiger Wind heulte durch die Straßen Berlins und drang mir durch sämtliche Schichten Kleidung bis an die Haut. Wangen und Nase spürte ich fast nicht mehr. Wenn ich nach Hause kam, huschte ich noch im Mantel ins Wohnzimmer und kuschelte mich an den Kachelofen. Ich empfand das verzweifelte Bedürfnis nach Wärme, doch sobald die Taubheit nachließ, begann es wie verrückt zu kribbeln und meine Backen wurden knallrot. Ich versuchte ihm eine zu kleben, aber er hielt mich mit ausgestrecktem Arm davon ab.
Wir konnten nur Wohnzimmer und Küche heizen, weil das Brennmaterial knapp war. Aus England kam keine Steinkohle mehr und die heimische Braunkohle wurde für die Waffenproduktion benötigt. Wir müssten Opfer bringen, erklärten uns die Lehrer, wenn wir im Mantel im Klassenzimmer saßen.
Karl und ich erledigten unsere Hausaufgaben jetzt am Wohnzimmertisch, wo wir auch aßen. Am anderen Tischende saß Mama und nähte. Wenn eine Kundin zur Anprobe kam, musste sich Karl allerdings in die Küche zurückziehen, was er nicht gern tat, weil Katrin angeblich die ganze Zeit quasselte und er sich nicht konzentrieren konnte. Aber auch mir fiel es nicht leicht zu lernen, während sich die Kundinnen mit Mama unterhielten.
Anfang Dezember probierte Frau Tillmann ihr neues Kostüm an, neben dem Ofen, damit sie sich beim Ausziehen nicht erkältete. Sie behauptete, die Engländer und Franzosen würden bald Frieden schließen.
»Und dann kommt Herr Friedemann nach Hause.« Lächelnd blickte sie von Mama zu mir. »Und Sie sind wieder glücklich vereint.«
Herr Tillmann war schon zu alt, um eingezogen zu werden.
Die Vorstellung von einem baldigen Kriegsende, bevor etwas Schlimmes passierte, war wundervoll, aber Karl wies immer wieder warnend darauf hin, dass die Engländer und Franzosen Polen niemals Hitler überlassen würden. Besonders die Franzosen nicht, denn sie wussten, dass Hitler als Nächstes in Frankreich einmarschieren würde.
Mama antwortete nichts darauf, weil sie den Mund voller Stecknadeln hatte. Sie kniete neben Frau Tillmann auf dem Boden und steckte den halbfertigen blauen Rock enger. Dabei trug sie ein Paar alte Handschuhe mit abgeschnittenen Fingern. Auch Karl und ich hatten solche Handschuhe an. Mama beschwerte sich, sie sei so ungeschickt damit. Als sie fertig war, befand sie: »Sie sind dünner geworden, Frau Tillmann.«
»Sogar in meinem wollenen Unterjäckchen?«, fragte Frau Tillmann
Weitere Kostenlose Bücher