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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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Schmutz absichtlich so kleben, um ihn zu ärgern. Im nächsten Augenblick wurde ich starr vor Angst, die Polizei könnte im Gaswerk auftauchen und ihn ins Konzentrationslager schicken. Vielleicht durfte er zuvor nicht einmal mehr Tante Edith sehen. Ich jedenfalls würde ihn bestimmt nicht besuchen dürfen. Mir kamen die Tränen. Muffi kam in die Küche und rieb ihre Schnauze an meiner Schulter.
    Ich wischte mir das Gesicht mit dem Ärmel ab und tätschelte sie. Vom Ofen hatte ich jetzt genug, sauberer bekam ich ihn ohnehin nicht mehr. Außerdem hatte ich noch eine Menge anderer Haushaltspflichten zu erledigen, und dazu kamen die Hausaufgaben. Ich ging zum Waschbecken und versuchte das Stahlwollknäuel zu säubern, mit dem schon Katrin eine Ewigkeit lang den Herd gescheuert hatte. Stahlwolle war jetzt kostbar wie Gold, seit sämtliches Metall in die Rüstungsfabriken ging. Das Knäuel war inzwischen ganz mit dunkelbraunem Dreck verklebt, ekelhaft.
    Muffi lag unter dem Küchentisch und behielt mich im Auge, für den Fall, dass ich wieder zu weinen begann. Angesichts all meiner Sorgen und der schrecklichen, schier unmöglichen Aufgaben war ich nahe dran. Jetzt musste ich noch die Ofenfront mit Graphitpaste bearbeiten. Ich dachte: Wenn ich doch bloß die Zeit zurückdrehen könnte bis zu dem Moment, in dem Raffi das Kranzler vorgeschlagen hat. Dann würde ich nein sagen, lass uns irgendwo anders hingehen. Und plötzlich hatte ich das Gefühl, Raffi sei ganz nah bei mir. Ich spürte seinen Atem, seine Bewegungen, seinen Blick, ich sah ihn lächeln und dachte: Bitte, bitte, bitte, genau wie in dem Moment, als der Polizist in dem Café unsere Ausweise verlangt hatte. Dann stand mir plötzlich wieder Hitlers freundlich lächelndes Gesicht vor Augen, und ich fürchtete, verrückt zu werden.
    Ich musste die Teppiche in den Hof hinunterschleppen und ausklopfen. Bei Mama konnte ich mich nicht beschweren, denn sie hatte auch noch die Werkstatt am Hals und ihre Schneiderei, und am nächsten Tag würde sie den Ofen putzen. Wir wechselten uns mit allem ab.
    »Mir war nie bewusst, wie viel Katrin getan hat«, sagte sie an jenem Abend. »Ein Glück, dass wir wenigstens das Waschen und Bügeln in der Wäscherei erledigen lassen.«
    Und dann nahm Mama all die Fotos aus dem Album, auf denen die Jakobis abgebildet waren. »So, wie die Mingers redet«, sagte sie, »ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie uns denunziert. Und wenn sie kommen und die Wohnung durchsuchen …«
    Bisher hatte ich mir, wenn sie in der Werkstatt war, im Wohnzimmer immer Fotos von Raffi anschauen können. Das würde jetzt also nicht mehr gehen. Ich wagte nicht, sie um ein Foto zu bitten, das ich behalten durfte.
    Ich wusste, wo die Fotos landen würden. Sie nahm mich mit hinunter in die Werkstatt und zeigte mir die diversen Riegel, die Papa unsichtbar an den geschnitzten Seitenteilen des Marionettentheaters angebracht hatte. Man musste genau wissen, nach welchem vergoldeten Blatt, welcher Traube an jedem der drei Strünke man suchen und in welcher Richtung man sie drehen musste. Erst dann klappte die Rückseite auf und man konnte die Tür des dahinterliegenden Lagerraums öffnen.
    Sie bat mich, die anderen Fotos so umzusortieren, dass die leeren Flecken nicht auffielen. Ich fand das schrecklich, denn es war, als würde ich Raffi und Tante Edith und Onkel Markus aus unserem Leben radieren.
    Raffi erwartete mich schon, als ich am Alexanderplatz eintraf. Es war ein bitterkalter Nachmittag, aber sobald ich ihn sah und endlich wusste, dass ihm nichts passiert war, fand ich das Wetter wunderschön. Wir suchten uns ein schäbiges, aber sauberes kleines Café in einer Seitenstraße. Die Küche befand sich in unmittelbarer Nähe der Tische, und so war selbst dann Geschirrklappern zu hören, wenn sonst nicht viel los war – für uns ein Vorteil.
    Nachdem wir uns gegenseitig versichert hatten, wie sehr wir aneinander gedacht hatten – was eine ganze Weile in Anspruch nahm –, sprachen wir über Onkel Hartmut.
    »Ich kann mir vorstellen«, sagte Raffi, die Teetasse in der einen Hand, meine Hand in der anderen, »dass er sich langsam zu fragen beginnt, ob er mit Hitler wirklich auf den Richtigen setzt.«
    Mir schwindelte fast vor Wohlgefühl darüber, dass meine Hand in seiner lag, aber ich sagte: »Er ist ein überzeugter Nazi, glaub mir, Raffi.«
    Ein Paar trat ein, ein Soldat auf Heimaturlaub mit seiner Freundin. Die kalte Luft, die hereinwehte, biss mir durch die

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