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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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Klaviermusik, und eine Sängerin stimmte ein kitschiges Lied an.
    Ich tanze mit Dir in den Himmel hinein,
    In den siebenten Himmel der Liebe.
    Die Erde versinkt, und wir zwei sind allein,
    In dem siebenten Himmel der Liebe.
    Und dann streckte Raffi seine Hand über den Tisch und ergriff meine. Er tat es behutsam, als könnte ich sie ihm wieder entziehen, doch als ich es nicht tat, begann er meine Finger zu streicheln. Wohlige Schauer durchfuhren mich, sie begannen kaum spürbar, wurden dann aber so heftig, dass ich fürchtete, alle Menschen im Café würden merken, was in mir vorging. Hitze stieg mir in die Wangen. »Jenny«, sagte er. Ich blickte auf und unsere Augen trafen sich. Auf seinem Gesicht lag ein angespannter, fragender Ausdruck, den ich noch nie bei ihm gesehen hatte.
    Plötzlich war alles wunderbar und aufregend, bis hin zu den Flecken auf Raffis Fingern, die von der Arbeit im Gaswerk stammten. Ja, sogar die streitenden Gäste im Raum.
    Der Luftwaffenoffizier verlangte lautstark nach der Rechnung. Er habe genug. Der Sohn der alten Dame erhob sich mit hochrotem Kopf und fuhr sich mit den Händen durch das graue, zum Bürstenschnitt gestutzte Haar. »Ich war im letzten Krieg Pilot bei der Luftwaffe, junger Mann, erzählen Sie mir nichts von Lufteinsätzen! Außerdem bin ich persönlich mit Reichsmarschall Göring befreundet. Wir waren damals Kameraden.«
    Raffi spielte immer noch mit meinen Fingern. Ich streckte sie aus und streichelte nun seine Hände. Immer noch durchwogten mich so süße Gefühle, dass ich es kaum mehr aushielt. Und doch wünschte ich, es würde nie aufhören.
    Nun trat dem Luftwaffenoffizier der Schweiß auf die Stirn und er entschuldigte sich. Bei der ganzen Belastung könne man schon mal die Fassung verlieren. Und natürlich habe er die Mutter des Herrn nicht beleidigen wollen. Er grüßte mit dem Hitlergruß, zahlte und verließ das Lokal.
    Raffi lehnte sich über den Tisch und ich spürte seinen Atem an meiner Wange. »Es zählt eben nur, wen man kennt«, flüsterte er. Dann meinte er mit seinem typischen Grinsen: »Oder wen man vorgibt zu kennen.«
    Er roch ganz leicht nach dem Gaswerk; sogar das stimmte mich glücklich. Aber hinter ihm bemerkte ich die bösen Blicke der alten Dame und sah, wie sich ihre Lippen zu einem »Tsss« formten. Ich rückte von Raffi weg und reckte trotzig den Kopf in ihre Richtung – hasserfüllt, doch wir konnten es uns nicht leisten, unangenehm berührte Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Ich trank meine Limonade aus. Obwohl ich mich danach sehnte, wieder seine Hand zu halten, war schon das Prickeln der Limonade auf meiner Zunge wie der Himmel auf Erden.
    »So«, brüllte Herr Bürstenschnitt seiner Mutter zu, »jetzt können wir uns wenigstens in Ruhe unterhalten!«
    »Ruhe nennt er das?«, flüsterte Raffi. Ich kicherte.
    »Und stimmt es denn wirklich, Martin, dass die Russen endgültig geschlagen sind?«, erkundigte sich die alte Dame bei ihrem Sohn.
    Plötzlich stieg mir ein Geruch in die Nase, und mir wurde bang ums Herz. Eine widerliche Moschuswolke. Ich sah, wie die Kellnerin ein anderes Paar an einen Tisch führte. Einen großen, breitschultrigen Mann im grauen Zweireiher und eine Frau im dunkelrosa Kostüm mit schwarzem Pelzkragen sowie einem Kopfputz, der an einen Blumenkasten mit Seidenblumen erinnerte.
    Als Tante Grete uns entdeckte, erstarrte sie. Onkel Hartmut merkte es und folgte mit den Augen ihrem Blick. Seine Schultern spannten sich an. Natürlich wusste er, wer Raffi war. Inzwischen war der Umgang zwischen Juden und Ariern verboten, Juden durften keine Cafés besuchen, und dass Raffi seinen gelben Stern abgelegt hatte, war ebenso wenig erlaubt.
    Lieber Himmel, dachte ich, wir sind geliefert.
    Herr Bürstenschnitt brüllte: »Ja, die Russen sind erledigt, so viel ist sicher. Die slawischen Untermenschen haben gegen echte deutsche Kämpfer keine Chance.«
    Mit steifer Haltung wandte sich Onkel Hartmut von mir und Raffi ab. Seine zusammengepressten Lippen und die Falte zwischen seinen Augen zeigten, dass er angestrengt nachdachte. Er setzte sich an den Tisch und flüsterte Tante Grete etwas zu.
    »Wir sollten jetzt gehen«, sagte Raffi.
    »Ja«, stimmte ich zu. Wir ließen uns die Rechnung geben.
    »Streit gehabt?«, fragte die Kellnerin. »Das wird schon wieder!«
    Wenn es so einfach wäre, dachte ich. Aber ich konnte ihr ja schlecht erzählen, dass wir Kandidaten fürs Konzentrationslager waren. Raffi reichte ihr die Geldscheine und

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