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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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Deutschland mehr Menschen gegeben, die sich schützend vor die Juden stellten, wenn die SS sie holen kam – aber ich war nur ein Mädchen und allein, und der Druck von Tante Ediths Hand wurde stärker, als wollte sie mich warnen.
    »Mach dir um mich keine Sorgen, mein Kind. Pass auf dich auf – und auf deinen Bruder. Hier ist das Geld für die Miete.«
    »Danke, Frau Jakobi«, entgegnete ich. »Mach ick.« Ich streichelte ein letztes Mal ihre Hand, um ihr zu zeigen, wie lieb ich sie hatte.
    »Grüß deine Mutter und deinen Bruder von mir. Ich wünsche euch alles Gute«, sagte sie dann. Ich spürte, wie ihre Hand zitterte.
    »Mach ick«, erwiderte ich, und dann bewegte sich der Strahl der Taschenlampe des SS-Mannes aufwärts und ich musste Tante Edith loslassen und so tun, als würde ich etwas in meine Tasche stecken. Es war mir fast unerträglich.
    »Jetzt reicht es«, sagte er zu mir. »Glaubst du vielleicht, wir müssen nur in einem einzigen Haus jemanden abholen? Wir säubern Berlin von Juden, vor dem Geburtstag des Führers müssen alle weg sein.«
    Ich sagte: »Auf Wiedersehen, Frau Jakobi. Und – alles Jute.« Ein Heil Hitler brachte ich in diesem Augenblick nicht über die Lippen.
    Ich blieb im Dunkeln stehen, während sie auf den Lastwagen kletterte. Der Mann beleuchtete mit seiner Lampe die Stufen. Ich sah drinnen eng zusammengedrängte Menschen, denen die Angst ins Gesicht geschrieben stand.
    Auf dem Weg zurück zur Trambahn dachte ich: Hätte ich doch bloß die erste Trambahn erwischt, warum bin ich nicht schneller gerannt, wenn ich zwanzig Minuten früher da gewesen wäre, hätte ich sie bestimmt rausholen können, bevor die SS eintraf. Die Gedanken kreisten in meinem Kopf, als könnte ich das Geschehene noch ändern.
    Aber das konnte ich nicht.
    Mama sagte: »Er wird zu ihr wollen, das weißt du so gut wie ich.« Tränen liefen ihr über die Wangen.
    »Davon bringe ich ihn schon ab. Sie hat gewollt, dass er bei uns bleibt, das werde ich ihm klarmachen«, beruhigte ich sie.
    Mama wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht, fast wie Raffi zuvor. Sie wusste, dass es noch einen anderen Grund gab, warum ich zu Raffi wollte, aber sie sagte bloß: »Jenny, falls sie kommen – dann musst du ihnen einen Grund liefern, warum du da unten bist. Ich habe meinen Flickkorb dort gelassen, als ich Raffi eingeschlossen habe. Du kannst sagen, ich hätte ihn heute Morgen mit in die Werkstatt genommen und dort vergessen. Ich hätte dich hingeschickt, damit du ihn holst. Und nimm Muffi mit. Sie kann dich vielleicht warnen. Allerdings probieren sie es um diese Uhrzeit wahrscheinlich erst hier oben. Und bring ihm dieses Kissen, eine Decke habe ich ihm gegeben, aber noch mehr konnte ich nicht hinunterschaffen. Es hat ein Loch im Bezug, wenn sie dich damit schnappen, sagst du, du musst es flicken. Und wenn … wenn sie uns festnehmen …«
    Sie schloss mich in die Arme und wir hielten uns eine kurze Weile lang ganz fest. Ich spürte ihre feuchte Wange an meiner.
    »Ich hab dich lieb, Mama«, sagte ich. Es kam mir wahnsinnig wichtig vor, das zu sagen.
    »Ich dich auch«, erwiderte sie. »Sehr, sehr lieb. Nimm Muffi mit, vielleicht bellt sie ja, wenn sie jemanden hört.«
    Ich nahm die Hintertür, durch die man über den Hof in die Werkstatt gelangte. Muffi schnupperte herum, wollte pinkeln, aber als ich sagte: »Später, Muffi«, trottete sie hinter mir hinein.
    »Sie haben sie abgeholt«, sagte Raffi. »Stimmt’s?«
    Ich nickte. Mir schnürte es das Herz ab. Er saß auf dem blanken Boden, nicht auf der Decke. Die lag zusammengeknüllt hinter ihm in der Ecke, neben Onkel Markus’ Stapel verbotener Bücher. Das Licht aus der Werkstatt fiel schräg in den Lagerraum und erleuchtete einen Teil der Außentreppe. Von hier unten sah es seltsam aus und machte mir Angst, aber in dieser Nacht schien mir alles beängstigend.
    Ich legte das Kissen wortlos hin und hoffte, er würde es später benutzen.
    »Du musst mich rauslassen.« Er stand auf. »Ich will zu ihr.«
    »Nein«, sagte ich und stellte mich vor ihn. »Du musst flüstern, Raffi. Wenn dich jemand hört …«
    »Ich weiß, wo sie wahrscheinlich ist.« Wenigstens senkte er nun die Stimme. »Man bringt sie in die Synagoge in der Levetzowstraße. Ich gehe hin und …«
    »Nein, Raffi«, beschwor ich ihn und packte ihn an den Schultern. Seine wilden, rot geränderten Augen starrten mich aus dem schmutzigen Gesicht an.
    »Sie will das nicht«, entgegnete ich. »Ich

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