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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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eingestürzt, Holzbalken, die mir den Weg versperrten. Vergeblich probierte ich, den nächstliegenden wegzuschieben, er gab nicht nach. Als ich auf alle viere gehen wollte, um stärker drücken zu können, stieß ich mir den Rücken schlimm an dem Metallträger. Das war der Augenblick, in dem ich zu schreien anfing. Ich schrie und schrie, keine Wörter, sondern einfach nur Laute, mit denen ich verzweifelt um Hilfe rief.
    Plötzlich schlängelte sich Muffi weg von mir und schlüpfte einfach durch das Loch hinaus. Ich konnte es nicht fassen, sie ließ mich im Stich. »Muffi!«, kreischte ich. »Komm zurück!«
    Ich hörte sie bellen. Kurz darauf rief Raffi durch das Loch: »Jenny! Jenny!« Er war mir also doch gefolgt, ich war nicht verloren – und Muffi war nur hinausgeschlüpft, um ihn auf uns aufmerksam zu machen.
    »Ich sitze fest«, rief ich, »bin aber nicht verletzt!«
    »Mach dir keine Sorgen!«, schrie er durch das Loch. »Ich suche jemanden, der mir hilft, den ganzen Schutt wegzuschaffen. Aber ruf lieber Muffi zu dir, bei dir ist sie sicherer.«
    Ich dachte an ihre Pfoten und an die Glasscherben auf der Straße. »Muffi!«, rief ich, und im Nu war sie bei mir, in meiner kleinen Unterwelt.
    So lag ich mit dem Gesicht auf dem Boden, Muffi an meiner Seite. Ich weinte vor Freude, weil Raffi mir gefolgt war und Hilfe holen würde. Dann hatte ich Angst, jemand könnte erraten, dass er Jude war. Nein, überlegte ich, von seinem Aussehen her würde das niemand vermuten, und heute Nacht verlangte gewiss niemand seinen Ausweis.
    Auf dem Bauch lag ich nicht bequem, deshalb rollte ich mich auf die Seite, mehr Platz war nicht. Beim Umdrehen stießen meine Hände gegen etwas Hartes, Glattes. Es war eine längliche Dose. Als ich den Deckel abnahm, entdeckte ich einen weichen Lebkuchen. Ich stopfte ihn mir in den Mund – wie gut er schmeckte! – und gab den zweiten Muffi. Insgesamt enthielt die Dose sechs Lebkuchen, vier davon aß ich, zwei durfte Muffi verschlingen. Das fand ich gerecht, Muffi war ja viel kleiner als ich.
    Irgendwie war es heißer geworden, zumindest kam es mir so vor. Ich versuchte mir einzureden, das sei bloß Einbildung. Aber eine Minute später malte ich mir bereits aus, wie es wohl war, bei lebendigem Leib zu verbrennen, ob es schnell gehen würde oder – Stopp , ermahnte ich mich. Stopp. Raffi weiß, wo ich bin, und er holt Hilfe. Ich wurde allmählich durstig, das kam bestimmt von den Lebkuchen. Und vom Rauch und Staub.
    Dann war Raffi zurück. »Alles in Ordnung, Jenny, ich habe Hilfe dabei.«
    Gott sei Dank, dachte ich. Gott sei Dank.
    Ich hörte Schaufeln gegen Ziegel und Steine scharren. Ein paar Brocken fielen mir vor die Nase, und ein ganzer Schwall grober Sand rieselte herab, was mich kurz in Panik versetzte, aber dann hörte es wieder auf.
    »Sachte!«, rief Raffi. »Das ist hier keine Sandgrube. Wenn ihr so weitermacht, stürzt die ganze Chose über ihr zusammen.«
    Daraufhin fingen die angesprochenen Personen an, die Ziegel einen nach dem anderen abzutragen. Doch mir war die Angst in Raffis Stimme nicht entgangen, und in meinem Herzen blitzte ein närrischer kleiner Freudenfunke auf, weil er um mich fürchtete. Trotzdem wünschte ich, sie würden schneller machen. Es war eine Qual, still hier drin liegen zu müssen.
    Zwischen den Holzbalken bildeten sich Spalten, durch die rotes Licht schimmerte, und einen Augenblick später hörte ich eine heisere Männerstimme sagen: »Ich denke, wir können jetzt versuchen, diesen Holzbalken anzuheben, Herr Leutnant.«
    Herr Leutnant?, dachte ich. Wie bitte?
    »Gut«, antwortete Raffi. »Aber ganz vorsichtig.«
    Vor mir konnte ich dunkle Gestalten ausmachen, die den Balken weghievten.
    »Kommst du allein klar, Jenny?«, fragte mich Raffi.
    Ich krabbelte vorwärts. Meine aufgeschürften Knie brannten, aber das machte mir nichts. Ich kam hier raus. Dann war es geschafft, mit wackligen Beinen rappelte ich mich auf. Muffi war auch schon da. Wieder nahm ich sie auf den Arm, um ihre Pfoten zu schützen, während Raffi und seine Helfer den Balken langsam zu Boden senkten. Es waren wohl lauter Jungen, alle mit Stahlhelmen, doch wegen der Gasmasken waren ihre Gesichter nicht zu erkennen.
    »Alles klar?«, erkundigte sich Raffi besorgt.
    »Ja«, entgegnete ich. Doch ich war ganz zittrig. Mit der einen Hand umklammerte ich Muffi, während ich mit der anderen nach dem Halstuch tastete, das mir in den Mantelkragen gerutscht war. Raffi nahm die Enden und band

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