Nicht ohne dich
hinauf in die Wohnung der Jakobis. Katrin war bereits dort und schrubbte, vor sich hin murmelnd, den Teppich.
»Aus den Betten haben sie Kleinholz gemacht«, berichtete Katrin. »Aber ich habe Frau Jakobi gesagt, dass die ganze Familie bei uns schlafen kann. Und hast du die Tapeten gesehen? Die sind auch vollgepinkelt. Einfach ekelhaft. Habt ihr Karl gefunden?«
»Sie haben alle jüdischen Wohnungen und Geschäfte verwüstet«, erzählte ich.
Tante Edith kam herein, ihre Hände waren ganz schwarz. »Meinen besten Mantel haben sie in den Küchenofen gesteckt«, sagte sie. »Ich wollte ihn rausholen, aber er ist nicht mehr zu retten. Er kann ebenso gut verbrennen. Wenigstens haben sie ein paar meiner Kleider unversehrt gelassen. Es würde sich wohl nicht gut machen, wenn eine Jüdin draußen nackt herumliefe.«
Es tat mir weh, wie hart und bitter ihre Stimme klang.
»Anscheinend waren Sie nicht die Einzigen, Frau Jakobi«, bemerkte Katrin. »Jenny hat gerade erzählt, was draußen los ist.«
Ich berichtete, was Raffi und ich gesehen hatten, nur das mit dem Mann, der aus dem Fenster gefallen war, ließ ich weg; ich brachte es nicht fertig, darüber zu reden.
»Sie haben die Synagoge angezündet?«, fragte Tante Edith. »Und die Feuerwehr hat tatenlos zugeschaut?«
»Ach du lieber Gott, du lieber Gott«, sagte Katrin und machte sich wieder daran, den Teppich zu bearbeiten. Ich sah den Schaum unter ihrer Bürste hervorquellen. »Diesen Hitler würd ich am liebsten hängen sehen«, murmelte sie. »Ich konnte ihn noch nie ausstehen, diesen abscheulichen, hetzerischen …«
Tante Edith wandte sich an mich: »Jenny, ich weiß nicht, was ich mit Theresia machen soll.« Ihre Stimme zitterte. »Ich habe die Scherben aufgesammelt, aber ich möchte sie nicht in den Mülleimer werfen.«
»Nein, das geht nicht«, stimmte ich ihr zu, und mir wurde es ganz eng in der Kehle. »Weißt du, Papa könnte ihre Haare bestimmt noch für eine Marionette verwenden. Dann würde wenigstens etwas von ihr weiterleben.«
»Das wäre schön«, sagte Tante Edith.
»Vielleicht hat Papa ja auch eine Idee, was wir mit den übrigen Teilen anfangen können«, fügte ich noch hinzu.
»Wir werden ihn fragen. Aber jetzt muss ich weitermachen.«
Ich arbeitete Seite an Seite mit ihr, räumte auf, gab die zerbrochenen Stücke ihres besten Services in einen Eimer und leerte ihn in die Mülltonne im Hof. Die silberne Teekanne und das silberne Milchkännchen hatten die SA-Männer gestohlen. Janke war im Hof und blickte stirnrunzelnd auf den Eimer. »Diese Dreckschweine«, sagte er, und ich war froh, dass es noch andere Leute gab, die so dachten wie wir.
Als ich wieder raufkam, hatte sich Frau Janke zu uns gesellt. Sie tat ihr Bestes, um die Flecken auf der Tapete zu beseitigen. Wenige Minuten später klingelte es. Es war Frau Tillmann, die den Porzellanladen neben unserer Werkstatt betrieb und über uns wohnte. Sie hatte einen Korb in der Hand.
»Geben Sie mir etwas zu tun, Frau Jakobi«, sagte sie. »Und – ich dachte mir, Sie können ein paar Tassen und Teller gebrauchen …«
Tante Edith brach in Tränen aus. Ich umarmte sie und Frau Tillmann gab beschwichtigende Laute von sich. Frau Janke warf ihren Lappen hin und wetterte gegen die SA-Männer, Katrin ging für Tante Edith Kaffee kochen.
»Ich danke euch allen«, sagte Tante Edith. Sie nahm meine Hand in ihre. »Ihr seid so gut zu mir.«
»Gut?«, schnaubte Frau Janke. »Eine Schlägerbande hat Schande über unser Land gebracht, und Sie reden von Güte? Wir schulden Ihnen unsere Hilfe, Frau Jakobi.«
»Was ist schon ein bisschen Porzellan?«, meinte Frau Tillmann.
Ich streichelte Tante Ediths Hand, die ich fast so gut kannte wie die Hand meiner Mutter. Die schmalen Finger, den kleinen Topasring, den sie immer trug. Diese Hand hatte mich so oft getätschelt, getröstet, liebkost. Tante Edith war nie ungeduldig mit mir geworden wie Mama manchmal. Wenn ich sie besuchen kam, hatte sie mir Theresia zum Spielen gegeben; wir hatten zusammen klebriges Mohnkonfekt gemacht, und Raffi hatte mir geholfen, es aufzuessen. Sie hatte mir die Fotografien auf der großen Anrichte gezeigt und mir die Geschichten dazu erzählt.
»Tante Edith«, sagte ich, »deine Fotos!«
Ihre Gesichtszüge verkrampften sich. »Ach Gott, wie konnte ich die nur vergessen?«
Die Bilder lagen verstreut auf dem Parkett neben der eingeschlagenen Anrichte. Tante Edith und ich gingen auf die Knie und sammelten sie auf. Ich
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