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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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flogen die Engländer wieder einen Angriff, aber wir kamen glimpflich davon. Sie hatten wohl gedacht, von Charlottenburg sei ohnehin nicht mehr viel übrig.
    Tags darauf sprach mich Janke auf der Treppe an. »Habt ihr das von Willi Mingers gehört?«
    Etwas in seiner Stimme hielt mich davon ab zu fragen, ob sie Willi das Eiserne Kreuz verliehen hatten, damit er mit seiner als Zuchtstute ausgezeichneten Mutter gleichziehen konnte.
    »Was ist denn mit ihm?«, fragte ich.
    »Er und drei andere Burschen«, sagte Janke. »Kurz nachdem sie heute Morgen das Luftschutzbüro verlassen hatten, ist eine Mauer über ihnen eingestürzt. Sie sind alle tot.«
    »O Gott«, sagte ich und fing zu zittern an, weil ich daran denken musste, wie mich das Haus am Kurfürstendamm krachend unter sich begraben hatte. Nur dass es bei Willi Mingers keinen rettenden Balken gegeben hatte.
    Janke fuhr fort: »Ihr Offizier musste heute Morgen die Nachricht überbringen. Er hat auch mich informiert.« Dann sagte er leise: »Ihr müsst ihr euer Beileid aussprechen, auch wenn sie noch so unangenehm ist.«
    Mama sah das genauso. Sie schrieb eine Beileidskarte und schob sie unter Frau Mingers’ Tür durch. »Ich habe auch meinen Sohn verloren«, sagte sie zu mir.
    Ich umarmte sie. Wir weinten beide. Wegen Willi Mingers. Es war verrückt.
    »Ich begreife das nicht«, sagte ich zu Raffi. »Ich konnte ihn auf den Tod nicht ausstehen. Von mir aus hätte er jederzeit abkratzen können. Und jetzt bin ich gar nicht froh.«
    Raffi runzelte die Stirn. »Du wärst aber froh, wenn du wüsstest, dass Hitler tot ist, oder?«
    »Ja, natürlich.«
    »Hitler wäre nichts weiter als ein Blödian mit Schnurrbart auf einer Seifenkiste gewesen, wenn es nicht all die Menschen gegeben hätte, die ihm zugejubelt und ihn gewählt haben«, fuhr Raffi fort. »Und die mich und Mama auf der Straße angespuckt haben, weil wir einen gelben Stern trugen. Und der Mingers-Junge war begeistert, stolz darauf, dass sein Bruder in Russland Juden ermordete.« Er biss sich auf die Unterlippe. »Da unten in dem Keller. Weißt du, es war ein gutes Gefühl, mit diesen Soldaten den Weg freizumachen, aber vielleicht gehörten sie auch zu einem der Mordkommandos. Vielleicht hat einer von ihnen sogar Mama umgebracht.«
    Das war eine entsetzliche Vorstellung. Aber ich sagte: »Du wolltest vor allem dich selbst da rausholen, und mich und Muffi.«
    »Ja«, sagte Raffi, »und ich hab’s geschafft, nicht wahr?«
    Frau Mingers stellte ein Foto von Willi in seiner Hitlerjugenduniform ins Schaufenster, mit einem schwarzen Trauerflor daran. Daneben brachte sie ein großes Stück Pappe an, auf dem stand:
    UNSER SOHN. ERMORDET VON DEN ENGLISCHEN SCHRECKENSBOMBERN.
    Mamas Beileidskarte schob sie uns unter der Tür zurück. Darauf hatte sie gekritzelt: Ersparen Sie mir Ihr scheinheiliges Mitgefühl, Sie dreckige englische Schlampe.
    Wenige Tage später war sie fort. Sie war nach Bayern zu den Gnomen gefahren. Janke kam, um uns davon zu berichten.
    »Die Jungen sind auf einem Bauernhof untergebracht, und die Bäuerin hat Frau Mingers eingeladen zu kommen, als sie erfahren hat, was passiert ist. Aber vielleicht bereut sie ihre Güte noch …« Er verzog das Gesicht. »Frau Friedemann, die Mingers hat die wildesten Dinge über Sie verbreitet. Und der Bäcker hat meiner besseren Hälfte erzählt, dass sie ihn über die Jakobis ausgefragt hat.«
    Mir stockte der Atem. »Was wollte sie denn wissen?«, fragte Mama mit bemüht ruhiger Stimme.
    »Wie sie ausgesehen haben. Ob sie alle schwarzes Haar hatten. Der Bäcker habe ihr nicht helfen können, weil er sich solche Sachen nicht merken könne. Das war Glück, aber andere Leute werden ihr Auskunft geben. Ich vermute, sie hat Raffi bei einem seiner kleinen Ausflüge gesehen.«
    Aber ich wusste es besser. Willi hatte ihr erzählt, dass er mich mit einem blonden Jungen gesehen hatte.
    »Wie lange bleibt sie fort?«, fragte ich.
    »Über Weihnachten. Am siebenundzwanzigsten kommt sie zurück.«
    Ich blickte auf den Kalender in der Küche. Wir hatten den ersten Dezember. Uns blieben also knapp vier Wochen.
    Janke sagte: »Wir würden den Jungen ja nehmen, aber wenn die Gestapo kommt, wird sie möglicherweise auch unsere Wohnung auf den Kopf stellen. Sie wissen doch, dass ich bei denen nicht gut angesehen bin. Es müsste jemand anders geben, jemanden, der nicht hier im Haus wohnt …«
    Nein!, schrie alles in mir, doch ich presste die Lippen aufeinander, damit kein Laut

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