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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
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war mir ehrlich gesagt dann doch ein bisschen peinlich. Schimmel wurde vom Brot abgeschnitten – »das kann man doch noch essen«. Erbsengroße Tupfen Zahnpasta gab es auf die Zahnbürste – »das genügt«. Sie machte Ringelblumensalbe selbst, morgens um sechs wurde gejoggt und anschließend kalt geduscht. Oder man rubbelte sich mit einem rauen Waschlappen ab. Eine weitere Eigenart von Ma war, dass sie grundsätzlich keine Markennamen benutzte. Ein Labello war für sie ein Fettpflegestift, ein Tempo ein Papiertaschentuch, Snickers ein Schokoladenriegel. Da war vieles, was eigentlich auch ein bisschen komisch oder unangenehm war, aber Ella war eben Ella, und ich spürte, dass sie und Manfred bestimmte Werte vertraten, Prinzipien hatten und es gut mit uns meinten. Ich mochte es, Grenzen gezeigt zu bekommen, die ich nachvollziehen konnte und verstand, ich fand es gut, erklärt zu kriegen, wie man sich so benimmt wie die Erwachsenen.
    Opa Manfred war etwas lockerer als seine Frau: Wenn wir sie in Holland besuchten, ging er mit uns schon morgens früh zum Hafen, und dort gab es ein Matjesbrötchen. Wenn uns Oma Müsliriegel gab, dann bekam man von Opa heimlich die Kinderriegel zugesteckt. Die Oma brach die Spaghetti in der Mitte durch, »damit man keine Flecken macht«, mit Opa ging man Pfannkuchen essen ins Pfannkuchenhaus. Wenn ich das Wochenende bei Elkes Eltern verbrachte, nahmen sie mich auch mit in die Kirche. Dort lernte ich, die Hände zu falten und zu Gott zu beten. Das tat ich dann zu Hause im Bett vor dem Schlafengehen auch: Ich redete mit Gott wie mit einem guten Freund und fühlte mich aufgehoben und verstanden.
    Vielleicht bekam das mein Vater einmal mit, denn eines Tages kam er auf den Gedanken, dass ich statt in den Religionsunterricht an der Schule zum Koran-Unterricht gehen sollte. Der fand im Wechsel mit dem Türkisch-Unterricht statt, und ich hatte nichts dagegen. Ich lernte gerne, doch als die Lehrerin uns nur Texte auswendig lernen ließ, während sie sich die Fingernägel lackierte, begann ich den Unterricht zu schwänzen und ging heimlich lieber zur Kirche der Christen. Denn ich hatte erfahren, dass die Kinder dort Theater spielen durften, und das konnte ich mir nicht entgehen lassen. Ohne dass mein Vater davon etwas mitbekam, wurde ich dort mit offenen Armen aufgenommen, spielte mit Leidenschaft mit und bekam sogar die Hauptrolle: Ja, ich als Mädchen und dazu noch Muslima durfte Jesus verkörpern!
    Theaterspielen war meine große Leidenschaft, gleich nach der Musik. Ich hatte mein eigenes Puppentheater und schrieb dafür neue Stücke. Das kam in der Schule so gut an, dass ich mit meiner Kasperltheatergruppe durch alle Klassen tourte. Eines Tages erzählte meine Lehrerin meinem Vater von diesem großen Erfolg, und da war er mächtig stolz. Seltsamerweise fragte er nie wieder nach dem Koran-Unterricht und den Türkischstunden; wie so vieles verlief auch diese Initiative im Sande. Und so kam es, dass ich nie richtig Türkisch lernte.
    Damals entwickelte ich kindliche Strategien, wie ich ohne großen Widerstand zu erwecken das tun konnte, was ich mir wünschte: Ich erzählte es zu Hause nicht. Glücklicherweise hatte ich damals großartige Lehrerinnen, die mich förderten und meinem Vater nichts verrieten. Damals funktionierte diese Taktik noch, ich war noch ein Kind und die Aufmerksamkeit meines Vaters war nicht so sehr auf mich gerichtet, wie das später der Fall sein sollte.
    Immer mehr lebte ich in zwei Welten. Die eine empfand ich als die »wirkliche« Welt, in der ich zur Schule ging, in der Kirche Theater spielte, bei Elkes Eltern eine deutsche Sozialisation erfuhr. In dieser Welt schenkten Ella und Manfred mir ein eigenes Klavier und bezahlten auch den Unterricht.
    Und dann war da noch die Welt der Familie meines Vaters, in der die Tanten Kopftücher trugen und sich alle Frauen der Familie regelmäßig in der Wohnküche versammelten, um sich mit einem Gemisch aus Zitronensaft und Zucker die Körperhaare zu entfernen. Das Zentrum dieser Welt war Oma Halima, die ich sehr liebte. Sie erzählte mir Märchen über Märchen, zum Beispiel das mit den Granatäpfeln, von denen kein einziger Kern verloren gehen darf, weil sonst ein Unglück geschieht. Diese wunderbar leuchtend roten Früchte darfst du nicht teilen, weil du sonst nur ein halbes Kind zur Welt bringen wirst. Alles andere aber, das muss unbedingt geteilt werden, vor allem die Süßigkeiten, sonst kommt in der Nacht die Schlange und

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