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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
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Zeugen von Leylas Jungfernschaft gemacht hatte, für ihn eine Art Ersatz für dieses alte Ritual gewesen?
    »Hamid wird sich niemals von Elke trennen«, erklärte ich der verzweifelten Leyla, die ja nur fünf Jahre älter war als ich und unter anderen Umständen meine große Schwester hätte sein können.
    »Aber was mach ich denn dann?«, weinte sie. »So kann ich doch nicht zurück nach Hause. Ich weiß nicht was ich tun soll! Am liebsten möchte ich sterben!«
    »Noch eine«, dachte ich. »Noch eine, die am liebsten sterben will, und alles nur wegen diesem Mann.« Von da an richtete sich meine Wut, die ich bislang an Leyla ausgelassen hatte, gegen meinen Vater. Wie kam er nur dazu, uns alle dermaßen unglücklich zu machen?
    »Nein«, sagte ich. »Er sollte sterben, nicht wir. Er ist derjenige, der das alles angerichtet hat. Wir müssen weg von hier. Sonst wird er uns alle in den Abgrund reißen. Und du musst wieder nach Hause zurück.«
    Von nun an waren wir, wenn auch nicht wirklich Freundinnen, so doch Verbündete. Ich war ganz erfüllt von dem Gedanken, Leyla zu retten. Da gab es doch diese Frauenärzte, die sich auf die Rekonstruktion von Jungfernhäutchen spezialisiert hatten; meine Tanten hatten in der Küche einmal hinter vorgehaltener Hand davon gesprochen, dass man heute nicht mehr mit Sicherheit sagen könnte, eine Braut hätte noch nie einen anderen Mann gehabt, auch wenn sie in der Hochzeitsnacht blute. Mich hat das damals natürlich sehr fasziniert, wie alles, womit man den rigiden Konventionen eine lange Nase drehen konnte.
    Leyla hörte auf zu weinen, als ich ihr davon erzählte. »Aber«, fragte sie, »wie soll das gehen? Wie finden wir so einen Arzt? Sicher kostet das eine Menge Geld. Und Hamid … wie sollen wir es vor ihm verheimlichen?«
    »Wir gehen einfach zusammen zu einem Frauenarzt«, entschied ich. »Und ich nehme einfach mein Versicherungskärtchen von der Krankenkasse mit.«
    Natürlich war das mehr als naiv. Dennoch verfolgte ich diesen Plan. Dass es nicht klug war, zu meinem eigenen Frauenarzt zu gehen, bei dem auch Elke Patientin war, das war mir klar. Also fragte ich Rhea und Simone, und schließlich fanden wir eine Frauenärztin, die uns über drei Ecken empfohlen wurde.
    Heimlich vereinbarte ich einen Termin bei ihr. Während mein Vater bei der Arbeit war, gingen Leyla und ich mit klopfenden Herzen dorthin. Unsere Ernüchterung war groß, als bereits im Vorzimmer klar wurde, dass Leyla nicht mit meiner Krankenversicherung behandelt werden konnte. Als wir der Gynäkologin gegenübersaßen, hatten wir nicht mehr den Mut, unsere Situation zu erklären. Was hätte ich denn auch sagen sollen? »Mein Vater hat dieses Mädchen vergewaltigt, und jetzt braucht sie eine neue Jungfernhaut, damit sie nach Hause kann, denn hier in Deutschland lebt sie illegal«? Das war ja schlecht möglich, und darum gingen wir mit hängenden Köpfen unverrichteter Dinge wieder nach Hause.
    Mir war klar, dass wir den Plan nicht gut durchdacht hatten. Schließlich müsste Leyla nach der Rekonstruktion ihres Jungfernhäutchens sofort zurück zu ihrer Familie in Marokko fliehen können; nicht auszudenken, was passieren würde, wenn sie meinem Vater wieder in die Hände fiel.
    »Dann wäre das schöne neue Jungfernhäutchen auch wieder futsch«, sagte ich und musste schrecklich lachen bei dieser Vorstellung. Und doch war es wieder einmal ein sehr seltsames Gefühl, so über meinen Vater zu sprechen. Wie über einen Triebtäter, einen Verbrecher. Doch je mehr ich unter ihm zu leiden hatte, und das war fast jeden Tag der Fall, desto mehr schwand meine Liebe zu ihm und wandelte sich in ein anderes Gefühl: nüchtern, kalt und spröde wie Glas.
    Und dann passiert etwas, das niemand von uns vorhersehen konnte: Im September hat Tanja, das Mädchen von gegenüber, mit dem ich befreundet bin, Geburtstag, und sie lädt mich zu ihrer Party ein. Ihr Vater ist Polizist. Hamid versucht sich immer gut mit ihm zu stellen, und vielleicht ist das der Grund, warum dieser Polizeibeamte all die Jahre nie eingriff, auch wenn er fast täglich unsere Schmerzensschreie hörte. Jeder, der in unserer unmittelbaren Nachbarschaft lebt, kann gut weghören. Da ist zum Beispiel eine Justizbeamtin, die Wand an Wand mit uns wohnt und sich einmal darüber beschwerte, dass Elke beim Sex zu laut stöhnte. Wenn sie das so gut hören konnte, um wie viel deutlicher muss sie den Lärm mitbekommen, den die Gewaltexzesse meines Vaters verursachen? Doch

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