Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)
ausfochten und sicherlich noch ausfechten werden – so zueinander stehen, ist für mich einer der größten Schätze auf dieser Welt.
Damals bat ich Mourad, mich mit meinen Wunden zu fotografieren. Ich dachte mir, eines Tages würde ich das brauchen, auch wenn ich noch nicht genau wusste, wofür. »Zusammengeschlagene vor der Gardine«, scherzte ich, während mein Bruder die Fotos machte, und wie so oft nach überstandenen Gewaltexzessen mussten wir sogar lachen. Das Lachen tat weh, und ich hielt mir dabei meine Wunden. Durch die harten Schläge meines Vaters auf meinen Mund waren die Lippen so angeschwollen, dass sie aussahen wie mit Botox aufgespritzt. Mourad fand, dass mir das ganz gut stünde.
Dann ging ich unter die Dusche. Ich sah hinunter auf meine Füße, sah das Wasser zum Abfluss rinnen, und es war voller Blut, dazwischen welke Blätter und Stängel, ganze Büschel von meinem Haar. Da kamen mir erneut die Tränen. Ich liebte mein wildes Haar, und dass er mir das nahm, empfand ich als weitere Demütigung.
Gemeinsam mit meinem Bruder verbrachte ich eine ruhige Stunde, in der wir einander immer wieder versicherten, dass wir uns gegenseitig immer beistehen würden, egal, was kommen sollte.
Und dann begann ganz einfach eine neue Sache. Mein Vater rief mich zu sich. Elke legte Kleidungsstücke zusammen, wirkte geschäftig und abweisend. Auf dem Nachttisch stand eine Schale mit Marihuana. Mein Vater saß auf dem Bett und reinigte seine Pistole, zog eine Art Flaschenbürste durch ihren Lauf. Auch Munition lag auf dem Bett, schön in Reichweite. Ich hatte das Gefühl, jetzt hatten sich Elke und Hamid wieder miteinander verbündet, Elke würde sich aus allem heraushalten. Ihr abgewandter Rücken schien zu sagen: »Na ja, Meral, wenn du dich besser benommen hättest, wäre uns das alles gar nicht passiert. Wegen dir bin ich wieder mal zusammengeschlagen worden, alles nur wegen dir …«
Mein Vater klopfte mit der Hand auf die Stelle neben sich auf dem Bett. Ich wusste, was das bedeutete: Ich sollte mich neben ihn setzen. Das tat ich; aufrecht saß ich neben ihm und sah ihn an. Die Munition rollte auf mich zu. Ich fing sie auf und gab sie meinem Vater. Der lud in aller Ruhe seine Pistole und setzte sie mir an die Schläfe.
»Möchtest du leben oder sterben?«
Ich dachte: »Drück doch einfach ab!«
Stattdessen sagte ich: »Ich möchte leben.«
»Wie bitte?«
Wieder einmal tat er so, als hätte er mich nicht verstanden.
»Was hast du gesagt? Ich hab dich nicht gehört.«
»Ich möchte leben.«
»Das war wieder zu leise. Elke, hast du verstanden, was sie gesagt hat?«
Wie sehr ich diese Demütigungen hasste. Und eigentlich war es eine Lüge. Ich wollte nur zu gerne sterben. Besser sterben als auf Knien leben. Aber so viel Mut hatte ich nicht.
Irgendwann hatte mein Vater genug von seinem dämlichen Spiel, nahm die Pistole von meiner Schläfe und legte sie weg. Dann küsste er mich und sagte: »So. Und jetzt gehen wir in die Disco. Zieh dir was Schönes an. Das Kleid, das ich dir neulich gekauft habe, das sollst du anziehen.«
Und obwohl ich nicht die geringste Lust dazu hatte, obwohl ich nichts lieber wollte, als mich hinzulegen und meinen verletzten, geschundenen Körper ausruhen zu lassen, blieb mir nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Ich zog also das Kleid an, und los ging es.
Meine Onkel, die nicht mit auf dem Boot gewesen waren und nichts mitbekommen hatten, hatte mein Vater ebenfalls zusammengetrommelt. Als sie mich sahen, ahnten sie allerdings alles. Mein Vater bestimmte, wie wir nun durch das Städtchen gehen sollten: Ich in der Mitte und seine Brüder wie eine Eskorte um mich herum. Einer ging vorneweg und die anderen an meinen beiden Seiten, sodass jeder, der uns kommen sah, wusste: »Aha, das ist eine orientalische ›Prinzessin‹, auf die wird aufgepasst.« Ich fand das alles furchtbar peinlich.
Wir gingen in eine Bar. Mein Vater wies mich an, nur auf mein Glas zu schauen. Natürlich hielt ich mich nicht daran. In der Nähe waren einige deutsche Touristen, und einer davon sah mich andauernd an. In einem kurzen, unbeaufsichtigten Moment sagte ich ihm, dass er mich nicht so anstarren sollte, wenn er nicht in eine Prügelei geraten wolle. Wie unangenehm mir das alles war! Nur zu gut konnte ich mir vorstellen, wie überrascht dieser Typ sein musste. Doch ich fand, an diesem Tag war schon genug passiert, und am Ende musste doch ich alles ausbaden.
Damals dachte ich es zum ersten Mal. Dass
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