Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)
zwei Freundinnen. Elke war mit ihren dreiunddreißig Jahren selbst noch wie eine Jugendliche auf der Suche. Ich staunte immer wieder darüber, wie sehr sie sich verwandelte, und bemerkte, dass sie sich an mir zu orientieren schien. Sie begann, so ähnliche Kleider wie ich zu tragen. Während sie vorher eher der Schlabberjeans-Typ war, trug sie jetzt kurze Röcke und hohe Absätze. Ihr Haar färbte sie rot. Und fast täglich kam sie vorbei, um sich von mir einen Joint drehen zu lassen, weil sie das selbst nicht so gut hinkriegte.
Als ich bei einer dieser Gelegenheiten zu ihr sagte: »Ich hab mich jetzt entschlossen, Hamid anzuzeigen«, antwortete sie: »Wirklich? Na ja gut, wenn du meinst. Was kann ich denn dabei machen?« Immer mehr wurde unser Verhältnis so, dass ich sagte, was zu tun sei, und ich mich auch darauf verlassen konnte, dass sie tat, was ich sagte. Die Jahre mit meinem Vater hatten offenbar dazu geführt, dass es ihr schwerfiel, selbst Entscheidungen zu treffen. Aber sie war perfekt in der Ausführung von Anweisungen oder Vorschlägen.
»Sag Bescheid«, meinte sie, »wenn es losgeht.«
Und so griff sie mit wachsender Begeisterung den Gedanken auf, als Nebenklägerin ebenfalls gegen ihren Exmann vorzugehen.
Als Nächstes mussten wir einen Rechtsanwalt suchen. Frau Schilling hatte mir erklärt, dass so ein Anwalt sehr teuer ist und dass wir jemanden finden müssten, dessen Honorar das Jugendamt übernahm. Frau Schilling erkundigte sich und fand eine Anwältin, die sich auf Gewaltdelikte gegen Frauen spezialisiert hatte. Ich fand das toll, denn ich stellte mir vor, dass wir eine eingeschworene Phalanx aus lauter Frauen sein würden, die für Freiheit und Gerechtigkeit unseres Geschlechts kämpften – Frau Schilling, die Anwältin, Elke und ich. Doch bei unserem ersten Besuch war ich eher befangen, denn unsere Rechtsanwältin war eine unglaublich elegante und distanzierte Frau, die mir wie aus einer amerikanischen Fernsehserie vorkam. Sie trug ein schickes Kostüm, war mit Schmuck behängt, und ihr Büro war superedel eingerichtet. Ich hatte mir Sorgen gemacht, dass ein Anwalt, dessen Honorar vom Staat bezahlt wird, vielleicht keine gute Arbeit leisten würde, doch wenn ich auch mit unserer Anwältin nie ein freundschaftliches Verhältnis fand, so war sie doch die richtige Wahl, wie sich später zeigen sollte.
Nun galt es, die Sache richtig anzupacken. Ich wollte unbedingt, dass mein Vater, wenn ich diesen ganzen Aufwand schon betrieb, auch zu einer hohen Strafe verurteilt würde. Die Anwältin erklärte mir, dass unsere Chancen umso größer wären, je mehr Zeugen wir vor Gericht aufbieten könnten. Also machte ich mich an die Arbeit.
Mourad und Meli lehnten es von vornherein ab, vor Gericht zu erscheinen. Mit viel Mühe fand ich Leylas Telefonnummer in Marokko heraus. Nach ihrem Aufenthalt im Krankenhaus war sie bei Elkes Eltern untergekommen. Die bezahlten auch die Krankenhauskosten, denn Leyla war ja nicht versichert. Wie Pa und Ma es schafften, Leyla aus dem Krankenhaus herauszubekommen, ohne dass die Behörden das Mädchen einkassierten, weiß ich bis heute nicht. Sie finanzierten auch einen Eingriff, bei dem Leylas Jungfernhäutchen restauriert wurde, und kauften ihr ein Ticket in die Heimat. Das war ungeheuer großzügig von Ella und Manfred, und doch rammte ihnen mein Vater noch den Dolch in den Rücken, obwohl sie ja nichts anderes taten, als seinen »Müll aufzuräumen«: Er zeigte sie an, dass sie eine illegale Ausländerin in ihrem Haus versteckt hielten. Das war sehr bitter für sie, denn dies hatte Auswirkungen auf ihren Einbürgerungsantrag, den sie für Holland gestellt hatten. Auch mit Leyla trennten sie sich damals nicht im Guten, denn die war nach wie vor wie ein schwankendes Blatt im Winde und ließ sich auch nach dem großen Knall immer wieder mit meinem Vater ein.
Vielleicht hätte ich es mir denken können, doch damals war ich von meiner Mission erfüllt und überzeugt wie Jeanne d’Arc von ihrem Feldzug. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Mädchen nicht gegen jemanden aussagen würde, der sie zwei Jahre ihres Lebens eingesperrt gehalten hatte, nachdem er sie vergewaltigt hatte.
»Hör zu«, sagte ich am Telefon zu ihr, »es ist ganz einfach. Der Flug wird dir bezahlt. Alles, was du tun musst, ist herkommen und erzählen, was passiert ist.«
Doch sie hatte offenbar schon wieder eine Gehirnwäsche hinter sich: »Ach, lass das doch«, sagte sie. »Was vorbei ist, ist
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