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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
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mein Vater auf, begann zu fluchen und dazwischenzureden. Dafür bekam er andauernd Verwarnungen und schließlich, als er nicht einsichtig war, eine Geldstrafe nach der anderen. Mich beachteten meine Verwandten überhaupt nicht, würdigten mich keines Blickes. Sie schienen auch nur mit einem Ohr zuzuhören, es interessierte sie nicht, was dieses deutsche Gericht da verhandelte; sie kamen nur, weil mein Vater dies von ihnen erwartete. Und selbst er hörte nicht zu, wenn ich meine Aussagen machte. Nur wenn der Richter das Wort ergriff, wurde er aufmerksam.
    Mein Vater benahm sich so unmöglich, dass schließlich sein Verteidiger sein Mandat niederlegte. Frau Schilling und ich trafen ihn später zufällig, und da sagte er uns, dass er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne, ihn weiter zu verteidigen. Danach erhielt mein Vater einen Pflichtverteidiger, doch dem war deutlich anzusehen, dass auch er keine große Begeisterung an den Tag legte. Statt seinen Verteidigern einfach die Wahrheit zu sagen, damit sie sich eine Strategie zurechtlegen konnten, machte mein Vater ihnen jede Menge Vorschläge, wie sie das Gericht austricksen könnten. Ganz klar, dass das in Deutschland nicht funktionieren kann.
    In einem Schreiben vom Amtsgericht habe ich heute noch Schwarz auf Weiß folgende Äußerung über meinen Vater: »Dem Gericht ist der Beklagte mit seinen theatralischen Gesten inklusive seiner kaum verdeckbaren Aggressivität, die sich zum Teil auch im Gerichtssaal gegen das Gericht gewandt hat, bestens bekannt …« Bei dieser Sache ging es darum, dass mein Vater während des Prozesses wieder einmal die »Bannmeile« von fünfhundert Metern überschritten hatte.
    Irgendwann kam ich mir vor wie in einem Film. Zum Beispiel, als ich eines Tages mit meinen Freundinnen im Auto nach Holland unterwegs war und wir im Radio einen Bericht über meinen Prozess hörten. Zu hören, wie fremde Leute unsere Auftritte interpretierten und erzählten, was während des letzten Verhandlungstages geschehen war, bewirkte, dass mir mein eigenes Leben immer unwirklicher erschien.
    Große Hoffnung setzte mein Vater auf die psychologischen Gutachten, die sowohl für mich als auch für ihn in Auftrag gegeben wurden. Er selbst versuchte, als verrückt eingestuft zu werden, und darum erschien er eines Tages mit einer Kette um den Hals, die er sich aus aufgefädelten Makkaroni-Nudeln selbst gemacht hatte. Der Psychologe durchschaute diesen Kinderkram, bestätigte ihm aber eine »narzisstische Persönlichkeitsstörung«. Da mein Vater behauptete, »Stimmen zu hören«, die ihm angeblich eingegeben hatten, mich zu misshandeln, kamen noch »schizophrene Wahnvorstellungen« hinzu. Doch das reichte nicht aus, um als unzurechnungsfähig zu gelten und dadurch einer Bestrafung zu entgehen. Verschiedene Psychologen kamen unabhängig voneinander zu dem Ergebnis, dass Hamid Al-Mer durchaus schuldfähig sei.
    Danach verfolgte mein Vater den Plan, mich als unzurechnungsfähig zu entlarven. Ich durchschaute das Spiel, und eines Tages erlaubte ich mir einen Scherz mit meinen Onkeln, die mal wieder vor meiner Haustür herumlungerten und nur darauf warteten, dass ich etwas Ungewöhnliches tat, damit sie den psychiatrischen Notdienst rufen konnten.
    Gegenüber von meinem Haus war eine Schule. Nun zog ich mir ein rosarotes Brautkleid an, tänzelte barfuß über die Straße und betrat ein Klassenzimmer. Es war gerade Kunstunterricht, und ich fragte den Lehrer, ob ich mich dazusetzen dürfte.
    »Klar«, meinte der Kunstlehrer ganz locker, »setz dich zu uns und mach mit, wenn du willst.«
    Als die Stunde zu Ende war, lief ich wieder nach Hause. Rasch zog ich mir das Kleid aus und Jeans und ein T-Shirt über. Und schon klingelte die Polizei an meiner Tür.
    Zuerst musterten sie mich, sichtlich verunsichert, von Kopf bis Fuß.
    »Ja?«, fragte ich freundlich. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
    Da räusperte sich einer der Beamten und meinte: »Ihre Familie macht sich Sorgen um Sie. Wir haben einen Anruf bekommen, dass Sie … in einem rosafarbenen Hochzeitskleid über die Straße liefen … Stimmt das?«
    »Ja, das stimmt«, sagte ich. »Ich finde das schön. Das ist doch nicht verboten, oder?«
    Die beiden wechselten wieder Blicke und schienen sehr verlegen.
    »Nein«, beeilte sich der eine zu sagen, »natürlich nicht. Aber die Anrufer sagten auch, dass Sie barfuß waren.«
    »Ist denn Barfußlaufen verboten?«, fragte ich sehr interessiert.
    Die beiden

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