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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
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nicht die Rede sein. Wieder einmal hatte er mich manipuliert, wieder einmal durch seine Brüder. Er wollte, dass ich ihn so sehe, hoffte, dass ich klein beigeben würde. Wenn mich schon Drohungen nicht einschüchtern konnten, dann wollte er nun an mein Mitleid, an mein gutes Herz appellieren.
    Ich ging kopfschüttelnd durch diesen seltsam ausstaffierten Raum und blickte meinen Onkel an. »Was erwartest du von mir«, fragte ihn mein Blick. »Glaubst du wirklich, dass ich auf eine solche Schmierenkomödie hereinfalle?«
    Auf dem Weg nach draußen versuchte ich meinem Onkel zu erklären, was ich fühlte und dachte. Denn noch immer wünschte ich mir, nach dem Prozess eines Tages wieder bei den Tanten sitzen und Tee trinken zu können, einfach dazuzugehören. Ich wollte wieder bei Elke wohnen können, ohne verfolgt zu werden. Denn ich war und bin ein Familienmensch, und diese Trennung war nicht mein Wunsch, sie war eine reine Überlebensnotwendigkeit, von der ich hoffte, dass sie irgendwann einmal nicht mehr nötig sein würde.
    »Meral, hab Erbarmen«, sagte mein Onkel. »Du hast jetzt gesehen, wie elend es ihm geht. Er hat doch versprochen, sich zu bessern, dich in Ruhe zu lassen und alles …«
    Ich sah meinem Onkel ins Gesicht, versuchte herauszufinden, ob er tatsächlich an das glaubte, was er da sagte. Ich für meinen Teil hatte meine Entscheidung getroffen.
    »Ich glaube ihm kein Wort«, sagte ich mit Nachdruck.
    Und sah die Reaktion auf diese Worte in den Augen meines Onkels. Es war wie ein Erkennen, gemischt mit Entsetzen. »Dass du so hart sein kannst …«, sagte er.
    »Vielleicht wäre ich nicht mehr am Leben«, dachte ich, »wenn ich diese Stärke nicht hätte.«
    Kaum war mein Vater aus der Psychiatrie entlassen, beschloss er, wieder zu heiraten. Dazu fuhr er mehrere Male in die Türkei. Für mich bedeutete seine Abwesenheit, ganz wie es früher schon gewesen war, ein Aufatmen, eine Zeit der Ruhe. Denn auch meine Onkel widmeten sich dann wieder ihren eigenen Angelegenheiten und ließen mich in Frieden. Doch kaum war mein Vater zurück, gingen die Verfolgungen und Einschüchterungen wieder los.
    Bald hatte mein Vater eine passende Frau gefunden und heiratete. Ja, er schaffte es sogar, in der Zeit des Prozesses ein Kind zu zeugen, was ihm später Hafterleichterung einbrachte und seine Strafe verkürzte. Doch seine eigene, neue Familie änderte nichts daran, dass er den Kampf mit mir immer weiterführte, mich beschatten ließ und verfolgte.

21
Die Melancholie des Sieges
    M eine Familie sagte von mir, dass ich ein kluges Mädchen sei, doch in ihrer Welt war das gleichbedeutend mit böse und verdorben. Immer wenn ich solche Fragen stellte wie: »Warum darf ich nicht alleine rausgehen? Wieso können Jungen das machen und ich nicht?«, dann verdrehten sie ihre Augen himmelwärts und seufzten. Wer dumm ist, der stellt keine Fragen, der nimmt hin und akzeptiert, was ihm gesagt wird. Wer dumm ist, der ist ein gutes Kind. Ich aber wollte von klein auf verstehen, warum die Dinge so oder so sein sollten.
    Ich galt als verloren, und verloren war für mich in diesen Jahren während des Prozesses, der sich vom Frühjahr 1998 bis in den Januar 1999 hinzog, auch mein Bruder. Mourad wollte von all dem, was mich beschäftigte, nichts wissen, er lehnte es ab, für mich auszusagen, lebte in seiner eigenen Welt. Während ich Drogen nahm, ging er, ohne dass ich davon wusste, unter die Drogendealer. Er wurde geschnappt und zu drei Wochen Jugendstrafe verurteilt. Heute sagt er, es wäre besser gewesen, ihn eine gewisse Zeit lang soziale Dienste leisten zu lassen, denn im Knast lernte er erst die »richtigen«, sprich: noch kriminelleren »Freunde« kennen. Die beiden neuen Kumpels und er nutzten die Zeit im Jugendvollzug, um neue Pläne zu schmieden, die die bisherigen kleinen Geschäfte bei Weitem in den Schatten stellen sollten.
    Kaum wieder auf freiem Fuß, machte sich das Trio daran, seine Pläne in die Tat umzusetzen. Die beiden anderen Kumpels verfügten über Kapital, und so fuhren sie alle drei nach Holland, um im großen Stil Drogen einzukaufen. Auf der Rückfahrt fuhren sie getrennt: Die Freunde mit dem Stoff im Kofferraum ihres Wagens und Mourad mit dem restlichen Geld, etliche tausend D-Mark, in einem anderen. Wie das Leben so spielt, kamen Mourads neue Freunde prompt in eine Verkehrskontrolle. Der Stoff wurde gefunden, die Freunde verhaftet. Sie waren vollkommen davon überzeugt, Mourad müsse sie verraten haben, damit

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