Nicht schon wieder ein Vampir! (German Edition)
…« Grundsätzlich sprach zwar nichts dagegen, Parrish das Grimoire für ein paar Stunden zu überlassen, aber ich glaubte einfach nicht, dass ich ihn oder das Buch dann noch einmal wiedersehen würde, und Sebastian brauchte eine der darin enthaltenen Formeln zum Überleben.
Parrish blieb völlig gelassen. Er sprang nicht auf, um mit dem Buch davonzulaufen, doch er nahm auch seine Hand nicht weg. Er lehnte sich zurück und wartete geduldig meine Entscheidung ab.
Was sollte ich tun? Nicht einmal eins sechzig groß, hatte ich keine Chance, ihn zu überwältigen. Es sei denn, ich ließ Lilith von der Leine, aber dann kam es zum Showdown. Parrishs kühler Blick vermittelte mir nämlich den Eindruck, dass er sich durchaus mit mir um das Grimoire schlagen würde. Ich spürte, wie Lilith sich erheben wollte, doch der Zauber, den ich gewirkt hatte, gab mir die Kraft, SIE in Schach zu halten.
»Na gut, … okay«, sagte ich schließlich.
»Du bist damit einverstanden, dass ich es mitnehme?« Parrish sah mich mit großen Augen an.
Wollte ich ihm das Buch wirklich anvertrauen? Nun, ich wollte ganz sicher nicht mit ihm darum kämpfen, denn dann erhob sich Lilith und tötete ihn. Er hatte gesagt, er bringe es zurück. Er war ein Dieb, aber er gefiel sich in der Rolle des ehrenhaften Ganoven. Erst vor ein paar Stunden hatte er darauf gepocht, ein echter Gentleman zu sein. Diese Karte spielte ich nun aus. »Du hast doch behauptet, du gehörst zu den Guten. Jetzt hast du die Chance, es zu beweisen.« Abgesehen davon bekam er es mit Lilith zu tun, wenn er nicht zurückkehrte. Sie war mein Trumpf bei der ganzen Geschichte. »Ich lege das Buch vertrauensvoll in deine Hände, Daniel.«
Niemand nannte ihn bei seinem Vornamen. Ich weiß nicht, warum, aber auch ich hatte mich in dieser Hinsicht immer ans Protokoll gehalten. Vielleicht gefiel ihm sein Name nicht, vielleicht fand er ihn zu biblisch, doch nun schenkte Parrish mir ein liebevolles Lächeln. »Ich werde dich nicht enttäuschen, Lady«, sagte er.
Vielleicht sah ich ihn – und Sebastians Grimoire – ja tatsächlich wieder. »Das wäre nett.«
Als Parrish gegangen war, werkelte ich eine Weile im Turmzimmer. Der Raum hatte einen Durchmesser von ungefähr drei Metern und bestand praktisch nur aus Fenstern. Weil er nach Süden ging, fühlten sich die Pflanzen dort sehr wohl. In dem großen Tontopf in der Mitte wuchsen verschiedene Küchenkräuter: Oregano, Thymian, Rosmarin, Basilikum und Koriander. Ich rieb einen Rosmarinzweig zwischen den Fingern und genoss das unverwechselbare würzige Aroma, das ein wenig an Kiefernnadelnduft erinnert. In anderen Töpfen zog ich Wildkräuter, von denen ich manche am Straßenrand ausgegraben hatte: wilde Möhre, Zichorie, Sumpfdotterblume und Leimkraut.
Die Efeu- und Philodendronranken unter der Decke hatten begonnen, das sternförmige Spalier zu umwachsen, das ich aus Seil gefertigt hatte. Bis zum nächsten Frühling sollte daraus ein grünes Pentakel aus lebenden Pflanzen entstehen.
Barney strich mir um die Beine. Ich bückte mich, um sie zu streicheln – und entging so der Kugel, die in diesem Moment das Fenster durchschlug.
F ÜNFTES H AUS
S CHLÜSSELWÖRTE R :
G LÜCK , A RROGANZ , K REATIVITÄT
Die Kugel schlug hinter mir in die Wand ein. Barney und ich starrten entsetzt die Staubwolke an, die das Einschussloch im Torbogen umgab.
»War das eine Kugel? Das war eine Kugel. Jemand hat auf uns geschossen!«, sagte ich zu Barney. Als ich etwas Warmes, Rundes in meiner Hosentasche spürte, erinnerte ich mich an die Silbermünze, die ich mir als Talisman eingesteckt hatte. Ich betrachtete entgeistert das Loch in der Fensterscheibe und dankte der Göttin dafür, dass sie bei Barney genau in diesem Moment das Bedürfnis geweckt hatte, sich von mir kraulen zu lassen.
Barney fauchte nur und verließ fluchtartig den Raum.
Es drängte mich zwar, aus dem Fenster zu schauen, doch ich drückte mich flach auf den Boden und verbot mir, auch nur den Kopf zu heben. Mein laut hämmerndes Herz mahnte mich zur Flucht, aber mein Verstand war gespalten. Still liegen zu bleiben erschien mir vernünftig, doch da war auch noch die Wohnungstür. Parrish hatte sie sicherlich nicht abgeschlossen, weil ich es versäumt hatte, ihm einen Schlüssel zu geben. Was sollte den Angreifer davon abhalten, nach oben zu kommen und mich kaltzumachen, während ich hilflos auf dem Boden kauerte?
Ich schloss einen Kompromiss. Ich krabbelte auf allen vieren in die
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