Nicht schon wieder ein Vampir! (German Edition)
zeigte, als wollte ich sie erstechen. Das schien sie auch so zu empfinden und wich hastig einen Schritt zurück.
Ihre Lippen zuckten, als setzte sie zu verschiedenen Antworten an, von denen ihr jedoch keine gefiel. Während ich sie abwartend ansah, wurde mir klar, dass sie mir gar nicht antworten konnte, weil alles, was sie sagen könnte, gelogen wäre. Sie wollte mich austricksen, doch sie machte ihre Sache nicht besonders gut.
Mein Gesichtsausdruck musste ihr wohl verraten haben, was in meinem Kopf vorging. Sie kniff grimmig die Lippen zusammen und zog eine Pistole aus der Tasche.
»Sie führen mich jetzt sofort zu ihm!«, sagte sie und richtete den Lauf auf meine Brust.
Ich hatte noch nie eine echte Schusswaffe aus der Nähe gesehen. Ihre Pistole sah ganz anders aus als die Spielzeugrevolver, mit denen die Jungs aus der Nachbarschaft früher herumgeknallt hatten. Sie hatte weder einen cowboymäßigen Perlmuttgriff, noch glänzte sie silbrig. Sie war mattschwarz und wirkte irgendwie militärisch.
»Los!«, drängte mich die Agentin.
Lilith zitterte vor Aufregung und hätte sich am liebsten sofort ins Gefecht gestürzt. Auf keinen Fall!, dachte ich. Göttin hin oder her, ich glaubte nicht, dass Lilith einer Kugel hätte ausweichen können. Davon abgesehen, machten inzwischen auch die anderen Geschäfte in der Straße auf. Bobby von der Pizzabude gegenüber stellte beispielsweise gerade seine Plastiktische und -stühle auf den Gehsteig. Hier gab es zu viele Zeugen.
Ich öffnete den Mund, und Lilith sagte: »Folgen Sie mir. Er hält sich hinten im Lager versteckt.«
Für eine geschulte Jägerin ging sie mir denkbar leicht in die Falle. Das Tragen einer Waffe sorgte bei manchen Leuten für ein übersteigertes Selbstvertrauen. So entschlossen, wie die Agentin durch den Laden marschierte, glaubte sie offenbar, dass sie bereits gewonnen hatte. Ich fragte mich, wie die Kongregation sie wohl für ihre Morde belohnte. Frauen hatten in der katholischen Kirche keine großen Aufstiegschancen; über den Nonnenstatus kamen sie kaum hinaus. Vermutlich konnte sie Mutter Oberin werden oder so etwas. Vielleicht gierte sie aber auch einfach nur nach Geld oder Ruhm oder anderen irdischen Freuden, mit denen gute Arbeit vergolten wurde.
Als wir zwischen den Regalen mit Hexenzubehör hindurchgingen, rümpfte sie beim Anblick des Tarotkarten-Sortiments die Nase.
»Die Rezeptur ist magisch, wissen Sie das?« Obwohl ich in den Lauf einer Pistole blickte, musste ich ein bisschen sticheln. »Sie lassen sich da auf etwas ein, das gegen alles geht, woran Sie glauben.«
»Nicht gegen alles«, erwiderte sie und strich mit dem Finger über die Hierophant-Karte, die zuoberst auf einem der Kartenstapel lag. Ein Mann auf einem Thron war darauf abgebildet. Er trug ein Messgewand und eine Art Bischofsmütze und stützte die Hand auf eine Art Stab, der einem christlichen Kreuz nicht unähnlich war. Früher hatte ich diese Abbildung immer mit einem Hohen Priester in Verbindung gebracht, doch als sie die Karte nun so liebevoll berührte, musste ich sofort an den Papst denken.
Christliche Magie. Sie hatte in der katholischen Kirche eine lange Tradition. Wer würde schon einen Vampir ohne die entsprechende Ausrüstung jagen? Ohne Weihwasser, ein Kreuz und einen Pflock aus Eiche, Ahorn, Espe oder Esche – oder was auch immer man für das Holz hielt, aus dem das Kreuz Jesu gefertigt wurde – wagte sich doch niemand in die Nähe eines Untoten.
Heilige Mutter, diese Agentin war am Ende eine katholische Hexe.
Plötzlich war mir klar, warum die Oberen die gute Schwester als Geheimagentin einsetzten. Als Frau konnte sie einen Hexenzirkel viel leichter infiltrieren. Und viele Bestandteile ihrer katholischen Magie fielen wegen den Parallelen zwischen der Göttin und der Jungfrau Maria gar nicht auf. Verdammt, auch ihr sterbender und wiederauferstandener Gott war für Heiden nichts Neues. Wir hatten die Idee sogar zuerst!
Sie konnte sich mühelos in die magische Gemeinschaft einfügen, ohne ihrem Glauben allzu sehr untreu zu werden.
Schon der Gedanke an einen derartigen persönlichen Verrat veranlasste Lilith, mir einen stechenden Schmerz durch den Bauch zu jagen. Ich krümmte mich und konnte SIE nur mit größter Anstrengung davon abhalten, die Agentin auf der Stelle abzuschlachten.
Sie fasste mich behutsam an der Schulter. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Etwas in meinem Blick bewirkte wohl, dass sie nach Luft schnappte und sich bekreuzigte. Es
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