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Nicht schwindelfrei - Roman

Nicht schwindelfrei - Roman

Titel: Nicht schwindelfrei - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon Verlag
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überdies nicht wählen. Er konnte zu gleicher Zeit in zwei verschiedene Richtungen gehen.
    Paul sass am Küchentisch. Viktor, der eben hereingekommen war, bückte sich, um Pauls Ohr zu erreichen. Sorgen?, fragte er.
    Sorgen?, fragte Paul zurück.
    Sie haben recht, Herr Paul: Ich spreche besser von einer Sorge.
    Dazu hatte Paul nichts zu sagen.
    Sie möchten nicht darüber sprechen, und es ist wohl auch besser so. Wo kämen wir hin, wenn wir einander unsere ehelichen Nöte klagen würden? Viktor biss tief in das Streuseltörtchen hinein, das nun zum Kaffee gehörte, kaute und sah dabei nachdenklich aus.
    Als er den Mund frei hatte, begann er von seiner Jugendzeit zu erzählen. Paul wunderte sich, dass die vielen kleinen Szenen alle aus dem selben Leben kamen. Die Geschichten schienen in Nestern des Lebens zu nisten, aus Schlupflöchern ans Licht zu kommen. Und sie vermehrten sich noch im Erzählen selbst.
    Zurück an seinem Arbeitstisch versuchte Paul über sein Leben nachzudenken, doch es fiel ihm nichts dazu ein. Der Staubsauger, ein starkes Modell, das Bára ihnen vermittelt hatte, stöhnte im Nebenzimmer. Dachte Viktor daran, den Staubsack auszuwechseln, wenn er voll war?
    Als die Männer Abschied genommen hatten, was immer unter der Wohnungstür und mit Händedruck und Gruss an die Frauen geschah, wandte Viktor, die Hand schon am Treppengeländer, noch einmal den Kopf. Um auf Ihre Sorge zurückzukommen, Herr Paul: Sie mag einmal begründet gewesen sein, heute ist sie es nicht mehr. Paul kannte Viktors Geste aus Filmen. Da wandten sich viele Menschen im Gehen noch einmal zurück, an der Tür, an der Treppe, um etwas Wichtiges effektvoll zu ergänzen.
    Zwei Wochen später grüsste Viktor: Hallo, Herr Paul,
guten Tag! Zu Ihnen kommt der leitende und zugleich einzige Angestellte unseres Reinigungsinstituts. Bedauerlicherweise ist die Chefin immer noch verhindert.
    Paul erkundigte sich nach Báras Befinden.
    Ihre Milch würde reichen für zwei dieser Säuger, sagte Viktor. Bára sei in bester Verfassung, doch das Mütterliche nehme sie ganz in Anspruch. Eine von Báras Nichten, Madlenka, sei aber bereit, für ihre Tante einzuspringen. Madlenka wird Sie ganz zufrieden stellen, Paul, sagte Viktor mit einem aufzuckenden Lächeln. Manchmal liess er das „Herr“ auch weg. Wie weit das gute Mädchen deutsch spricht, weiss ich allerdings nicht, aber – Hier folgte eine Liste von Qualitäten Madlenkas, von denen nur die wenigsten beim Reinigen erforderlich waren.
    Paul freute sich auf eine stumme Putzfrau.
    Die Kaffeepause war zu einem Reservat für Vertrauliches geworden. Viktor gestattete sich, Paul lange freundlich in die Augen zu schauen. Ihre Sorge, Herr Paul, hat, wenn ich so sagen darf –
    Dürfen Sie nicht, unterbrach Paul.
    Dann, Verzeihung, beende ich nur diesen Satz: Ihre Sorge, die sind Sie jetzt wohl los.
    Paul sagte widerwillig: Woher wollen Sie das wissen?
    Es steht in Ihrem Gesicht geschrieben, in Grossbuchstaben sogar. So darf ich annehmen, dass Sie inzwischen auf dem Laufenden sind.
    Paul fragte nicht: Worüber? Und Viktor brauchte seine Frage nicht, um fortzufahren: Ihre Frau hatte, wie Sie wahrscheinlich wissen, die Güte, unsere Firma einem Bekannten zu empfehlen. Wenn Frau Marion bei diesem Herrn zu Gast war – Viktor schwieg.
    Dann?, fragte Paul.
    Dann spülte Bára anderntags die Gläser. Das heisst, zurzeit bin ich es, mache die Betten, hebe ein Hemdchen vom Boden auf, was halt so anfällt. Viktor führte seine Hände sanft zusammen. Sie berührten sich an den Fingerspitzen und erzeugten so ein kuppelförmiges Gebilde oder Gebäude, dem man nur misstrauen konnte.
    Wir sind ja nicht neugierig, Bára und ich, fuhr Viktor fort, wir sind nur besorgt. Nicht mehr um Ihre Frau allerdings, das hat sich erledigt. Wir haben aufge­atmet, glauben Sie mir. Was aber, ach ja, den Bekannten Ihrer Frau angeht – Es tut mir leid, Paul, dass ich ihn erwähne, aber er ist eben auch nur ein Mensch und dazu ein Kunde und in diesen Tagen so fassungslos. Viktor machte ein bekümmertes Gesicht: Es war nicht leicht, das alles mitzuverfolgen. Man brauchte weiss Gott kein Menschenkenner zu sein, um vorauszusehen, wie sich das entwickeln würde.
    Paul sah gar nichts, weder jetzt noch im Voraus. Er erkundigte sich, wo das Hemdchen sich nun befinde, das Viktor vom Boden oder Teppich

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