Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht so laut vor Jericho

Nicht so laut vor Jericho

Titel: Nicht so laut vor Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ephraim Kishon
Vom Netzwerk:
würdigen, antwortete:
    »Ich habe Hunger.«
    »Das Kind lügt nicht«, wandte sich der Vater erklärend an mich. »Wenn Eytan sagt, daß er Hunger hat, dann hat er Hunger, da können Sie Gift darauf nehmen.«
    Ich wies diese Zumutung energisch zurück und fragte den stolzen Erzeuger, warum er mir die Fotos gezeigt hätte, obwohl das Modell in Fleisch und Blut zugegen war.
    »Die Fotos sind ähnlicher«, lautete die väterliche Antwort. »Eytan ist in der letzten Zeit ein wenig abgemagert.«
    Ich brummte etwas Unverständliches und schickte mich an, die Bank und sicherheitshalber auch den Park zu verlassen. Mein Nachbar erstickte diese Absicht im Keim.
    »Das Kind hat ein phantastisches Talent für Mathematik«, raunte er mir hinter vorgehaltener Hand aus dem Mundwinkel zu, so daß Eytan nichts davon hören und sich nichts darauf einbilden konnte. »Er geht erst seit ein paar Monaten in die Schule, aber der Lehrer hält ihn schon jetzt für ein Wunderkind… Eytan, sag dem Herrn eine Zahl.«
    »1032«, sagte Eytan.
    »Eine andre. Eine höhere.«
    »6527.«
    »Also bitte. Haben Sie so etwas schon erlebt? Im Handumdrehen! Und dabei ist er erst sieben Jahre alt! Unglaublich, wo er diese hohen Zahlen hernimmt. Und das ist noch gar nichts. Eytan, sag dem Herrn, er soll an eine Zahl denken!«
    »Nein«, sagte Eytan.
    »Eytaaan! Du wirst den Herrn sofort bitten, an eine Zahl zu denken!«
    »Denken Sie an eine Zahl«, grunzte Eytan gelangweilt.
    Jetzt machte mein Nachbar wieder von der vorgehaltenen Hand und vom Mundwinkel Gebrauch:
    »Drei! Bitte denken Sie an drei!« Dann hob er den Finger und wandte sich dem Gegenstand seines Stolzes zu: »Und jetzt werden wir den Herrn bitten, die Zahl, die er sich gedacht hat, mit zehn zu multiplizieren, nicht wahr, Eytan?«
    »Meinetwegen.«
    »Was heißt ›meinetwegen‹? Sprich anständig und in ganzen Sätzen.«
    »Multiplizieren Sie die Zahl, die Sie sich gedacht haben, mit zehn«, leierte Eytan den vorgeschriebenen Text herunter.
    »Weiter«, ermahnte ihn sein Vater.
    »Dann dividieren Sie die neue Zahl durch fünf, halbieren Sie die Zahl, die Sie dann bekommen – und das Resultat ist die Zahl, an die Sie zuerst gedacht haben.«
    »Stimmt’s?« fragte mein Nachbar zitternd vor Aufregung; und als ich bejahend nickte, kannte seine Freude keine Grenzen. »Aber wir sind ja noch nicht fertig! Eytan, sag jetzt dem Herrn, an welche Zahl er gedacht hat.«
    »Weiß ich nicht.«
    »Eytan!«
    »Sieben?« fragte das Wunderkind.
    »Nein!«
    »Eins?«
    »Auch nicht!« brüllte der enttäuschte Papa. »Konzentrier dich!«
    »Ich konzentrier’ mich ja.« Der Kleine begann zu weinen. »Aber woher soll ich wissen, an welche Zahl ein fremder Mann denkt?«
    Mit der Selbstbeherrschung des Vaters war es vorbei:
    »Drei!« Seine Stimme überschlug sich. »Drei, drei, drei! Wie oft soll ich dir noch sagen, daß die Leute immer an drei denken?!«
    »Und wenn schon«, quakte das gepeinigte Kind. »Was gehen mich Zahlen an? Immer nur Zahlen, immer nur Zahlen! Wer braucht das?«
    Aber da hatte mein Nachbar ihn schon am Kragen und beutelte ihn in erhabenem Vaterzorn.
    »Was sagen Sie dazu?« keuchte er unter Verzicht auf Mundwinkel und vorgehaltene Hand. »Haben Sie schon jemals ein achtjähriges Kind gesehen, das sich nicht einmal eine einzige Ziffer merken kann? Gott hat mich hart geschlagen…«
    Damit machte er sich davon, den heulenden Eytan hinter sich herziehend. Ich sah ihm nach, bis seine gramgebeugte Gestalt im winterlichen Mittagssonnenschein verschwand.
    Welch ein Fluch für einen Vater, wenn er erkennen muß, daß er dem eigenen Sohn rein gar nichts von seinem Genius vererbt hat.
     
     

Aus der Gründerzeit
     
     
    Ist unser alter Pioniergeist noch lebendig? Zwischen Cocktailparties und Banketten stellt sich der israelischen Bevölkerung immer wieder diese Frage, über die man nicht leichtfertig hinweggehen soll. Es ist eben schwer, im Alter reich zu werden und dabei noch jung und arm zu bleiben.
     
    Die Idee ging von Jakov aus. Wir saßen in seinem Atelier, Chaim, Uri und ich, und machten uns Sorgen über Israels Niedergang.
    »Die kulturelle Lage in unserem Land ist katastrophal«, stellte Chaim fest. »Unsere Jugend ist verrückt nach dem Fernsehen, und ihr einziger Lesestoff sind amerikanische Magazine. Die hebräische Literatur stagniert.«
    Wir anderen nickten trübe. Ohnmächtige Wut und eine wilde Sehnsucht, die Misere zu ändern, fochten in unserem Inneren einen erbitterten Kampf

Weitere Kostenlose Bücher