Nicht tot genug 14
»Können Sie mir auch noch die Wegbeschreibung durchgeben?«
Wer immer sich die Verkehrsführung im Zentrum von Guildford ausgedacht hatte, musste unter Drogen gestanden haben. Anscheinend hatte er versucht, das Labyrinth von Hampton Court in Asphalt nachzubilden. Grace verirrte sich immer, wenn er nach Guildford kam, und beschloss, sich endlich ein Navigationssystem zu kaufen. Seine Laune wurde zunehmend schlechter, bis er endlich die Spencer Avenue, eine Sackgasse in der Nähe der Kathedrale, entdeckt hatte.
Es war eine schmale Straße, die steil anstieg und auf beiden Seiten zugeparkt war. Nummer 18 war ein kleines Haus mit niedrigem Zaun und gepflegtem Vorgarten.
Zur Tür führten einige Stufen hinunter. Um ein Haar wäre er über eine schwarz-weiße Katze gestolpert, die vor seinen Füßen vorbeisauste. Grace klingelte.
Nach kurzer Zeit öffnete eine kleine grauhaarige Frau in Gummistiefeln und Gartenhandschuhen die Tür. »Ja bitte?«, sagte sie freundlich.
Er zeigte ihr seinen Ausweis.
Ihr Lächeln verschwand. »O nein, geht es schon wieder um Laura?«
»Laura?«
»Steckt sie mal wieder in Schwierigkeiten?« Sie hatte einen winzigen Mund, der an den Ausguss einer Teekanne erinnerte.
»Verzeihen Sie bitte, falls ich hier an der falschen Adresse sein sollte. Ich suche nach Mr. Derek und Mrs. Joan Tripwell, die im September 1964 einen Jungen namens Frederick Jones adoptiert haben.«
Sie wirkte plötzlich sehr beunruhigt. Dann sagte sie: »Nein, Sie haben sich nicht in der Adresse geirrt. Kommen Sie doch bitte herein. Und entschuldigen Sie, wie ich aussehe, ich hatte nicht mit Besuchern gerechnet.«
Er folgte ihr durch einen engen Flur, der nach alten Leuten und Katzen roch, in ein Wohn- und Esszimmer, das von einer Polstergarnitur und einem riesigen Fernseher beherrscht wurde, in dem gerade ein Kricketspiel lief. Ein älterer Mann mit Hörgerät und karierter Decke über den Beinen hing schlafend in seinem Sessel, obgleich er seiner Gesichtsfarbe nach zu urteilen ebenso gut hätte tot sein können.
»Derek, wir haben Besuch. Ein Herr von der Polizei.«
Der Mann öffnete ein Auge, sagte »Aha« und schloss es wieder.
»Möchten Sie vielleicht eine Tasse Tee?«
»Danke gern.«
Sie bot ihm einen Platz auf dem Sofa an. Grace stieg über die Beine des schlafenden Mannes und setzte sich. Er schaute sich im Zimmer um, ob irgendwo Fotos zu sehen waren. Es gab mehrere. Auf einem war das Ehepaar in sehr viel jüngeren Jahren mit drei Kindern zu sehen, zwei Jungen und einem mürrisch dreinblickenden Mädchen. Auf einer Vitrine mit Porzellanfiguren stand ein silberner Rahmen mit dem Foto eines dunkelhaarigen Jugendlichen, der Anzug und Krawatte trug und unwillig in die Kamera blickte. Grace erkannte sofort die Ähnlichkeit mit Brian Bishop.
Die Frau kam mit einem Tablett ins Zimmer. Sie hatte die Gartenhandschuhe ausgezogen und die Gummistiefel gegen Pantöffelchen mit Pompons getauscht.
»Milch und Zucker?« Grace beäugte hungrig die Kekse, denn es war schon Mittagszeit, und er hatte kaum gefrühstückt.
»Nur Milch, kein Zucker, danke.«
Sie reichte ihm den Teller, der mit Vollkornkeksen, Schokoriegeln und Marshmallows beladen war. Dankbar griff er nach einem Schokoriegel und packte ihn aus.
Sie schenkte ihm Tee ein und deutete dann auf das silbergerahmte Foto. »Der Name Frederick hat uns nicht gefallen, nicht wahr, Derek?«
Von dem Mann kam nur ein leises Stöhnen.
»Daher haben wir ihn Richard genannt.«
»Richard«, erklang das Echo aus dem Sessel.
»Wie Richard Chamberlain, der Schauspieler aus Dr. Kildare. Kennen Sie die Serie?«
»Blödsinn, das war doch lange vor seiner Zeit«, grunzte ihr Ehemann.
»Ich kann mich verschwommen erinnern«, gestand Grace. »Meine Mutter war ein großer Fan von ihm.« Er rührte in seinem Tee und wollte endlich zur Sache kommen.
»Wir haben zwei Kinder adoptiert«, sagte Joan Tripwell. »Dann kam unser eigener Sohn. Geoffrey, er macht sich gut, arbeitet in der Forschung eines Pharmakonzerns. Pfizer. Er entwickelt Medikamente gegen Krebs.«
Grace lächelte. »Das ist gut.«
»Mit Laura haben wir Probleme. Deswegen dachte ich auch, Sie seien wegen ihr gekommen. Sie steckt immer in Schwierigkeiten. Drogen. Es ist ein bisschen ironisch, dass unser Geoffrey so viel Erfolg mit seinen Medikamenten hat und Laura wegen Drogen ständig Ärger mit der Polizei bekommt.«
»Und wie läuft es mit Richard?«
Ihr kleiner Mund klappte zu, ihre Augen blickten hilflos,
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