Nicht tot genug 14
verwundert an. Grace bemerkte, wie seine Augen zuerst nach rechts, dann nach links und dann ganz nach links zuckten. »Letzten Sonntag.«
Von nun an konnte Grace immer erkennen, ob Bishop die Wahrheit sagte. Die Beobachtung der Augen war eine sehr effektive Technik, die er kennengelernt hatte, als er sich mit neurolinguistischer Programmierung beschäftigte. Bei allen Menschen sitzt das Gedächtnis in einer Gehirnhälfte, während die andere, die kreative Seite, für die Phantasie und damit auch fürs Lügen zuständig ist. Die Seitenverteilung war nicht bei allen Menschen gleich. Um es herauszufinden, stellte man der Person eine Kontrollfrage, die sie kaum mit einer Lüge beantworten würde. Grace würde somit in Zukunft wissen, dass Bishop vermutlich log, wenn seine Augen nach rechts wanderten.
»Wo haben Sie letzte Nacht geschlafen, Mr. Bishop?«
Der Mann schaute einfach nur geradeaus. »In meiner Londoner Wohnung.«
»Kann das jemand bezeugen?«
Bishops Augen schossen nach links, zur Gedächtnisseite. »Oliver, der Pförtner, nehme ich an.«
»Wann hat er Sie gesehen?«
»Gestern Abend gegen sieben – als ich aus dem Büro kam. Und dann wieder heute Morgen.«
»Wann waren Sie heute Morgen auf dem Golfplatz?«
»Um kurz nach neun.«
»Und sind aus London gekommen?«
»Ja.«
»Wann sind Sie losgefahren?«
»Gegen halb sieben. Oliver hat mir geholfen, die Golfausrüstung einzuladen.«
Grace überlegte kurz. »Kann jemand bezeugen, wo Sie sich zwischen sieben Uhr gestern Abend und halb sieben heute Morgen aufgehalten haben?«
Bishops Augen schossen wieder nach links, also sagte er die Wahrheit. »Ich habe mit meinem Finanzberater in einem Restaurant in Piccadilly gegessen.«
»Hat der Pförtner gesehen, wie Sie gingen und später zurückkamen?«
»Nein. Nach sieben ist er meistens nicht mehr da.«
»Wann haben Sie das Abendessen beendet?«
»Gegen halb elf. Wird das hier eine Hexenjagd?«
»Nein, Sir. Bedauere, wenn ich etwas pedantisch wirke, aber wenn wir Sie als Täter ausschließen können, hilft uns das enorm weiter. Würden Sie uns bitte sagen, was Sie nach dem Essen gemacht haben?«
»Ich bin in meine Wohnung gegangen und gleich eingeschlafen.«
Grace nickte.
Bishop schaute erst ihn, dann Branson und Nicholas stirnrunzelnd an. »Meinen Sie etwa, ich sei um Mitternacht noch nach Brighton gefahren?«
»Zugegeben, es ist ein bisschen unwahrscheinlich«, sagte Grace.
»Könnten Sie uns die Telefonnummer des Pförtners und Ihres Finanzberaters geben? Und den Namen des Restaurants?«
Branson notierte die Nummern.
»Würden Sie mir bitte auch Ihre Handynummer geben, Sir? Und wir brauchen einige aktuelle Fotos von Ihrer Frau.«
»Selbstverständlich.«
Dann sagte Grace: »Gestatten Sie mir eine sehr persönliche Frage, Mr. Bishop. Sie sind nicht verpflichtet, sie zu beantworten, aber es wäre sehr hilfreich.«
Der Mann zuckte hilflos die Achseln.
»Haben Sie und Ihre Frau irgendwelche ungewöhnlichen Sexpraktiken ausgeübt?«
Bishop stand abrupt auf. »Was zum Teufel soll das heißen? Meine Frau ist tot! Ich will wissen, was passiert ist, Detective Superintendent – wie war doch gleich Ihr Name?«
»Detective Superintendent Grace.«
»Warum können Sie mir diese einfache Frage nicht beantworten? Ist das zu viel verlangt?« Bishop zeigte erste Anzeichen von Hysterie, und seine Stimme wurde lauter. »Wollen Sie etwa andeuten, dass ich meine Frau ermordet habe?«
Seine Augen zuckten nervös umher. Grace musste dafür sorgen, dass er sich beruhigte. Er betrachtete Bishops lächerliche Hose und die Schuhe, die ihn an die Gamaschen der Gangster aus den dreißiger Jahren erinnerten. Jeder Mensch trauerte anders. Das wusste er aus beruflicher und persönlicher Erfahrung.
Die Tatsache, dass dieser Mann in einem pompösen Haus lebte und ein protziges Auto fuhr, machte ihn noch lange nicht zum Mörder. Grace durfte sein Urteilsvermögen nicht von Vorurteilen trüben lassen. Jemand konnte durchaus in einer Millionenvilla leben und dennoch ein absolut anständiger, gesetzestreuer Bürger sein. Selbst wenn er einen Nachttisch voller Sexspielzeuge und im Büro ein Buch über sexuelle Fetische gehabt hätte, hieß das noch lange nicht, dass er seiner Frau eine Gasmaske übergestülpt und sie dann erdrosselt hatte.
Allerdings hieß es auch nicht, dass er unschuldig war.
»Die Fragen sind leider notwendig, Sir, sonst würden wir sie nicht stellen. Mir ist bewusst, dass Sie sich in einer sehr
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