Nicht tot genug 14
ergo ist er ein Soziopath, ergo hat er seine Frau getötet. Bingo! Fall aufgeklärt. Sollen wir ihn verhaften?«
Grace grinste. »Manche Drogendealer sind groß, schwarz und haben den Kopf rasiert. Ergo bist du ein Drogendealer.«
Branson nickte stirnrunzelnd. »Natürlich, ich besorge dir alles, was du willst.«
Grace streckte die Hand aus. »Schön, dann hätte ich gern ein paar von den Pillen, die ich dir heute Morgen gegeben habe – falls noch welche übrig sind.«
Branson reichte ihm zwei Paracetamol-Tabletten. Grace spülte sie mit einem Schluck Mineralwasser herunter, stieg aus und klingelte an der kleinen blauen Eingangstür.
Branson trat neben ihn, und Grace wünschte sich einen Moment lang, allein zu sein. Es war fast eine Woche her, seit er Cleo gesehen hatte, und er sehnte sich danach, ein paar Minuten mit ihr allein zu verbringen. Um zu hören, ob sie immer noch so fühlte wie letzte Woche.
Sie öffnete die Tür, und Grace ging es wie immer, wenn er sie sah. Er schmolz vor Freude förmlich dahin.
Cleo war Ende zwanzig, fast eins achtzig, mit langem blondem Haar und überschäumendem Selbstvertrauen – einfach hinreißend. Wovon ihre Kunden natürlich nichts mehr hatten. Sie stand in der winzigen Eingangshalle, die Haare hochgesteckt, trug einen grünen Chirurgenkittel mit schwerer Gummischürze und weiße Gummistiefel und sah eher wie eine Schauspielerin im Fernsehkrimi aus.
Obwohl der überaus neugierige Glenn Branson neben ihm stand, musste Grace sie einfach ansehen. Mit einem tiefen Blick, der lange dauerte. Ihre verblüffend großen, runden himmelblauen Augen blickten unmittelbar in seine Seele und in sein Herz.
Wenn sein Kollege doch nur verschwinden würde. Aber nein, der Mistkerl blieb hartnäckig neben ihm und grinste wie blöd.
»Hi«, grüßte Grace.
»Detective Superintendent, Detective Sergeant Branson, wie schön, Sie zu sehen.«
Er wollte sie doch nur umarmen und küssen. Stattdessen beherrschte er sich und lächelte unverbindlich. Dann folgte er ihr in das kleine Büro, das gleichzeitig als Empfangsraum diente und völlig unpersönlich wirkte. Dennoch, es gehörte ihr.
Auf dem Boden drehte sich ein Ventilator, es roch nach einem süßlichen Desinfektionsmittel. Der Raum war mit einigen Besucherstühlen und einem kleinen Metalltischchen eingerichtet, auf dem drei Telefone standen. Daneben stapelten sich braune Umschläge mit dem Aufdruck PERSÖNLICHES EIGENTUM. Auf einem großen, rot-grünen Buch stand in Goldbuchstaben REGISTER DES LEICHENSCHAUHAUSES.
An den Wänden hingen Urkunden und eine Überwachungskamera, die in unruhiger Folge Ansichten sämtlicher Seiten des Gebäudes und danach eine Nahaufnahme des Eingangs zeigte.
»Eine Tasse Tee, Gentlemen, oder möchten Sie direkt hineingehen?«
»Ist Nadiuska so weit?«
Cleos Augen verweilten ein wenig länger auf seinem Gesicht als nötig. Lächelnde Augen. Unglaublich warmherzige Augen. »Sie isst nur eben ein Sandwich. Fängt in zehn Minuten an.«
Grace spürte einen dumpfen Schmerz im Magen. Sie hatten den ganzen Morgen nichts gegessen, und mittlerweile war es zwanzig nach zwei. »Eine Tasse Tee wäre toll. Hast du auch Kekse?«
Sie holte eine Dose unter dem Schreibtisch hervor und öffnete den Deckel. »Vollkornkekse, Kitkat, Marshmallows, Butterkekse mit heller oder dunkler Schokolade, Feigenplätzchen?« Sie hielt ihnen die Dose hin, doch Branson schüttelte den Kopf. »Und welchen Tee? English Breakfast, Earl Grey, Darjeeling, China, Kamille, Pfefferminz, Grüntee?«
Er musste grinsen. »Ich hatte ganz vergessen, dass du hier ein kleines Starbucks betreibst.«
Glenn Branson lächelte nicht, sondern saß plötzlich da, von Traurigkeit übermannt, das Gesicht in den Händen vergraben. Cleo warf Grace eine Kusshand zu, und er griff nach einem Kitkat-Riegel.
Zu Grace’s Erleichterung sagte Branson plötzlich: »Ich ziehe mich schnell um.«
Darauf hatten sie nur gewartet. Cleo schloss die Tür, schlang die Arme um Roy Grace und küsste ihn leidenschaftlich.
Als ihre Lippen sich voneinander lösten, hielt sie ihn immer noch fest und fragte: »Und, wie geht es dir?«
»Ich habe dich vermisst«, sagte er.
»Ehrlich?«
»Ja.«
»Wie sehr?«
Er hielt seine Hände etwa einen halben Meter auseinander.
Cleo gab sich empört. »Ist das alles?«
»Hast du mich denn auch vermisst?«
»Und wie, ganz fürchterlich.«
»Gut! Wie war die Weiterbildung?«
»Ich glaube nicht, dass du das wirklich wissen
Weitere Kostenlose Bücher