Nicht tot genug 14
Mittagszeit vom örtlichen Bestatter abgeholt werden, sodass wieder Platz frei wurde.
Cleo rappelte sich mühsam auf. Auf dem Anrufbeantworter war eine Nachricht von ihrer Schwester Charlie, die gegen zehn angerufen hatte. Sie wusste genau, worum es ging. Charlie wollte ihr in allen Einzelheiten berichten, wie ihr Freund sie sitzen gelassen hatte. Vielleicht konnten sie sich ja irgendwo draußen treffen, im Park oder am Strand. Cleo rief an, und zu ihrer Erleichterung war Charlie sofort bereit, sich mit ihr in einem Restaurant unter den Arches, den Bögen der Promenade, zu treffen.
Eine halbe Stunde später fuhr sie durchs Tor des Leichenschauhauses. Zum Glück war der Bestatter noch nicht da.
Sie war mit offenem Verdeck gefahren, und ihre Laune hatte sich gebessert, weil ihr dabei etwas eingefallen war, das Roy Grace vor einigen Wochen zu ihr gesagt hatte. Wenn ich an einem warmen Abend mit offenem Verdeck und dir an meiner Seite so durch die Gegend fahre, kann ich mir kaum vorstellen, dass es so viel Schlimmes auf der Welt gibt.
Sie parkte den blauen MG an der üblichen Stelle und wollte ihr Handy aus der Tasche holen, doch es war nicht da.
Wie zum Teufel konnte sie das nur vergessen? Sie ging nie, wirklich niemals ohne Handy aus dem Haus. Es war durch eine Art unsichtbare Nabelschnur mit ihr verbunden.
Roy Grace, du bringst mich völlig durcheinander!
Sie klappte das Verdeck zu, obwohl sie nicht lange bleiben wollte, schloss den Wagen ab und ging hinein.
Im dichten Verkehrsstrom, der sich auf der anderen Straßenseite dahinwälzte, befand sich auch ein schwarzer Toyota Prius. Statt zum Strand hinunterzufahren, bog der Wagen an der nächsten Straße links ab und fuhr eine Anhöhe hinauf. Der Zeitmilliardär lächelte zufrieden, als er eine Parklücke entdeckte und hineinrollte.
Seine Hand sah nicht besonders gut aus, die Schwellung war über Nacht größer geworden.
»Blöde Schlampe!«, brach es zornig aus ihm heraus.
*
Obwohl Cleo seit acht Jahren im Beruf war, hatte sie sich noch immer nicht an die Gerüche gewöhnt. Der Gestank, der sie an diesem Tag überfiel, als sie die Tür öffnete, warf sie beinahe um. Wie alle Mitarbeiter des Leichenschauhauses hatte sie sich angewöhnt, durch den Mund zu atmen, aber die Luft war erfüllt vom schweren, klebrigen Gestank verwesenden Fleisches – widerlich ätzend und süßlich.
Er umhüllte sie wie ein unsichtbarer Nebel und schien durch alle Poren zu dringen.
Sie hielt die Luft an und rannte in den kleinen Umkleideraum, wo sie einen sauberen grünen Anzug vom Haken nahm, weiße Gummistiefel anzog und Gummihandschuhe über ihre verschwitzten Hände streifte. Dann setzte sie eine Gesichtsmaske auf, die allerdings gegen den Gestank nicht viel ausrichten würde.
Sie betrat den Annahmeraum, der an den großen Autopsieraum grenzte, und schaltete das Licht ein. Die Tote war als unbekannte weibliche Leiche deklariert, was Cleo immer ziemlich traurig fand.
Sie lag auf einem Tisch aus Edelstahl. Den abgetrennten Arm hatte man zwischen ihren Beinen platziert, und in den Haaren hatten sich ein paar grüne Algen verfangen. Cleo trat an den Tisch und verscheuchte energisch die Schmeißfliegen, die durch den Raum summten. Neben dem Verwesungsgestank nahm sie noch andere Gerüche wahr. Salz. Den Hauch des Meeres. Und als sie behutsam die Algen aus den Haaren zupfte, wusste sie auf einmal nicht mehr, ob sie sich mit ihrer Schwester wirklich am Strand treffen wollte.
Da klingelte es an der Tür. Der Bestatter. Cleo warf einen Blick auf die Überwachungskamera, bevor sie die Hintertür öffnete und den beiden jungen Männern dabei half, die in Plastik verpackten Leichen in den dezenten braunen Lieferwagen zu laden. Als sie abgefahren waren, schloss sie die Tür und kehrte in den Empfangsraum zurück.
Aus dem Eckschrank holte sie einen Leichensack. Wasserleichen waren furchtbar. Nach einiger Zeit hatte ihre Haut eine geisterhaft bleiche, fettige Konsistenz angenommen, die an schuppiges Schweinefleisch erinnerte. Der Fachbegriff dafür lautete Adipocire, doch der erste Leichenbeschauer, mit dem Cleo zusammengearbeitet hatte, mochte es lieber makaber und hatte ihr mit funkelnden Augen erzählt, dass man diesen Zustand auch als Leichenwachs bezeichnete.
Die Lippen, Augen, Finger, Teile der Wangen, Brüste, Vagina und Zehen waren von kleinen Fischen oder Krebsen gefressen worden.
Wer bist du?, fragte Cleo, als sie den Sack öffnete und vorsichtig unter die Tote
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