Nicht tot genug 14
Schild The Munich Readery – Secondhand-Bücher auf Englisch war beleuchtet.
»Ich wollte Ihnen nur kurz den Laden zeigen. Morgen frage ich dort nach.«
Grace nickte. Er hatte zwei große Gläser Bier, eine Bratwurst, Sauerkraut und Kartoffelpüree intus und fühlte sich ganz schön schläfrig. Besser gesagt, er konnte kaum die Augen offen halten.
»Sie haben gesagt, Sandy sei eine begeisterte Leserin gewesen?«
Gewesen. Das Wort weckte ihn wieder auf. Er mochte es nicht, wenn Menschen in der Vergangenheitsform von ihr sprachen, als sei sie bereits tot. Diesmal ließ er es durchgehen, weil er sich eingestehen musste, dass er in letzter Zeit bisweilen selbst auf diese Weise an sie gedacht hatte. »Ja, sie liest sehr gerne, schon immer. Krimis, Thriller, Hauptsache spannend. Sie mag auch Biographien, vor allem von weiblichen Forschern und Entdeckern.«
Kullen fuhr weiter. »Sie sollten sich nicht entmutigen lassen. Als Nächstes fahren wir zum Polizeipräsidium. Dort werden alle Unterlagen über Vermisstenfälle aufbewahrt. Meine Freundin, Polizeirätin Sabine Thomas, leitet die Abteilung und wird sich mit uns treffen.«
»Das ist sehr nett von ihr, immerhin ist Sonntag.«
Der Optimismus, den er im Park noch empfunden hatte, war verschwunden, und ihm wurde wieder bewusst, welch gewaltige Aufgabe er vor sich hatte. Vor seinen Augen zogen die stillen Straßen und geschlossenen Läden vorbei. Sie konnte überall sein. In einem Haus, einem Auto, auf irgendeiner Straße. Und dies hier war nur eine Stadt. Eine von Millionen und Abermillionen Städten.
Grace öffnete das Wagenfenster, schwüle Luft wehte herein. Er kam sich ziemlich verloren vor.
Nach Dicks Anruf hatte er geglaubt, er müsse einfach in den Englischen Garten gehen und würde Sandy dort schon finden. Als wenn sie nur auf ihn gewartet, ihm durch Dick und Lesley eine subtile Botschaft vermittelt hätte.
Wie konnte er nur so blöd sein?
»Auf dem Weg ins Büro können wir über den Marienplatz gehen. Auf dem Viktualienmarkt zeige ich Ihnen den Stand mit den englischen Lebensmitteln.«
»Vielen Dank.«
»Danach müssen Sie mit zu mir kommen und meine Familie kennenlernen.«
Grace lächelte ihn an und fragte sich, ob der deutsche Kollege überhaupt wusste, wie sehr er sich diese scheinbare Normalität wünschte. In diesem Moment klingelte sein Handy.
Keine Nummer.
Er ließ es noch ein paar Mal klingeln. Vermutlich etwas Berufliches, und er war absolut nicht in der Stimmung, mit einem Kollegen zu sprechen. Andererseits war es seine Pflicht. Schweren Herzens drückte er die grüne Taste.
»Yo!«
Es war Glenn Branson.
»Was gibt’s?«
»Wo bist du?«
»In München.«
»Immer noch?«
»Bin doch erst seit ein paar Stunden hier.«
»Was hast du eigentlich da zu suchen?«
»Ich suche nach einem Pferd für dich.«
Langes Schweigen. »Wie bitte? Ach so, verstehe. Sehr witzig. Scheiße, Mann, hast du mal den Film Nachtzug nach München gesehen?«
»Nein.«
»Von Carol Reed.«
»Kenne ich nicht. Das ist übrigens auch nicht der richtige Augenblick, um über Filme zu plaudern.«
»Na ja, ich dachte nur, weil du dir letztens Der dritte Mann angesehen hast. Der ist nämlich auch von Carol Reed.«
»Hast du mich deswegen angerufen?«
»Nein.« Er wollte noch etwas hinzufügen, als Kullen auf ein eher unscheinbares Gebäude deutete.
»Moment mal.« Grace legte die Hand über das Telefon.
»Das ist der Bierkeller, aus dem man Hitler geworfen hat, weil er seine Rechnung nicht bezahlen konnte. So lautet jedenfalls das Gerücht.«
»Ich fahre gerade an Adolf Hitlers Stammkneipe vorbei«, erklärte er Branson.
»Schön, bleib bloß nicht stehen. Wir haben nämlich ein Problem.«
»Und das wäre?«
»Es ist ein richtig großes Problem.«
»Ich bin ganz Ohr.« »Du klingst so komisch. Bist du besoffen?«
»Nein. Komm zur Sache.«
»Wir haben noch einen Mord am Hals. Es gibt Ähnlichkeiten zum Fall Katie Bishop.«
Roy Grace setzte sich kerzengerade hin. Jetzt war er wieder wach. »Welche Ähnlichkeiten?«
»Das Opfer ist eine junge Frau namens Sophie Harrington. Sie wurde tot mit einer Gasmaske vor dem Gesicht gefunden.«
Grace überlief es kalt. »Scheiße. Was haben wir sonst noch?«
»Was brauchst du denn noch? Na los, schaff deinen Arsch wieder hier rüber.«
»Das kann auch DI Murphy übernehmen.«
»Sie ist aber nur die Zweitbesetzung«, sagte Branson geringschätzig.
»Wenn du sie so nennen möchtest. Was mich betrifft, ist sie die
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