Nicht Totzukriegen
mehr über mich als mein Tagebuch, meine Mutter, mein Hausarzt und Google zusammen.
Ich kann dazu nicht viel sagen, ich war ja betrunken.
Tom sagt immer, ihm war von der ersten Sekunde an klar, dass er von nun an nur diese eine Frau wollte; das liebe ich an ihm, diese Entschlossenheit und die klare Linie, und deshalb macht mir die Sache mit Yvonne so sehr Angst: Ein Tom spielt nicht. Was er anfängt, zieht er durch.
Mein Mann betrügt mich. Wie kommt man mit so was klar, wie geht man damit um? Ich weiß es einfach nicht. Machen das alle Männer mal, und meiner war nur so blöd, sich erwischen zu lassen? Ich dachte, das passiert nur anderen, ich dumme Nuss, ich war so stolz auf meinen Mann! Und dann kommt er plötzlich mit einer Jüngeren um die Ecke. Vielleicht hätte ich besser einen grenzdebilen Gnom heiraten sollen, nach dem Motto: Wer Geld hat, darf auch hässlich sein. Und nicht so einen tollen Kerl.
Das ist das Schlimmste: Das Gefühl, dass es nie mehr so schön sein wird wie bisher.
Wenn ich früher Liebeskummer hatte, also, viel früher, mit Zahnspange, als das mit den Jungs immer spannender wurde und die Pferdegeschichten in der
Wendy
allmählich langweilig, bin ich einfach zu Tante Hilde geradelt. Das war jedes Mal eine kleine Reise, denn sie lebte fünf Kilometer von meinen Eltern entfernt in einem kleinen Siedlungshäuschen, an der Fassade rankte der Efeu, den Garten ließ sie wuchern, das Gras stand hoch, sie zog Gemüse und pflückte Wildblumen. In diesem kleinen Paradies saß ich dann auf der Küchenbank oder am Gartentisch und habe Tante Hilde mein Herz ausgeschüttet, sie hat mir selbstgebackenen Apfelkuchen hingestellt, mir zugehört und mich getröstet. Danach ging es mir gleich viel besser, und ich durfte wieder daran glauben, dass eines Tages mein Prinz auf dem weißen Schimmel geritten käme. Trotz Zahnspange.
Ich habe Tante Hilde nie mit einem Mann erlebt, gleichzeitig empfand ich sie immer als die glücklichste Frau meiner gesamten Verwandtschaft. Hätte mir vielleicht eine Warnung sein sollen.
Ein paar Dinge haben sich seither geändert. Moderne Prinzen heutzutage bestehen auf einem Ehevertrag. Die Mistkerle. Tante Hilde erinnert sich nicht mehr so gut und ist auch nicht mehr so flott unterwegs, außerdem hätte sie dreimal fast ihr Häuschen abgefackelt, weil sie ihr Essen auf dem Herd vergessen hatte, deshalb lebt sie mittlerweile im Seniorenheim, eine schöne Anlage mit einem Park gegenüber zum Spazierengehen. Das Personal dort kümmert sich rührend um sie, und ich besuche sie von Zeit zu Zeit. Mit dem Auto. Den Apfelkuchen bringe ich mit.
Vor der Tür kommt mir bereits eine der alten Damen entgegen, entschlossen stapft sie Schritt für Schritt mit ihrem Gehwägelchen voran. Das ist ganz normal: Ein Seniorenheim ist kein Gefängnis, wenn die Senioren rüstig genug sind, gehen sie allein spazieren. Es ist sogar erwünscht, dass sie sich so viel wie möglich bewegen und mobil bleiben.
Mit dem Kuchenpaket in der Hand betrete ich das Gebäude und gehe gleich in Richtung des Gemeinschaftsraums. Freundlich grüßend betrete ich ihn, er ist liebevoll für eine Party dekoriert, eine der alten Herrschaften im Hause hat wohl Geburtstag, und so ein Ereignis wird auch hier gebührend gefeiert. Die Pflegekräfte tun ihr Bestes, damit es den Bewohnern gutgeht und sie sich wohl fühlen. Mein Apfelkuchen kommt allerdings zu spät, der Geburtstagskaffee ist gerade beendet, eine Pflegerin räumt bereits die Platten mit den Kuchenresten von den Tischen.
Ihr Kollege kommt mit einer Tasse Tee in den Raum, ein gutmütiger Kerl, immer entspannt, immer freundlich, mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht, so der Typ Surfer, aber ohne die strammen Oberarme. Er blickt sich suchend um: »Frau Drechsler …? O nee, nicht schon wieder!«, stöhnt er. Oh, dann wollte die alte Dame, die mir vor dem Eingang entgegengekommen ist, wohl doch ausbüxen. Der Pfleger stellt die Tasse ab und macht sich an die Verfolgung.
Ich begrüße Tante Hilde, und als sie mich sieht, geht ein Strahlen über ihr Gesicht, ich bin dankbar für jeden Tag, an dem sie mich noch erkennt. Ich setze mich zu ihr. Und natürlich gratuliere ich auch dem Geburtstagskind, Frau Burckhardt.
Ein paar Minuten später wird Frau Drechsler von dem Pfleger wieder zur Gruppe zurückgebracht, fürsorglich begleitet er sie zu ihrem Platz und hilft ihr, sich hinzusetzen. »War nicht so schlimm«, erklärt er mir ungefragt, »wir waren erst bei der
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