Nicht Totzukriegen
gesteckt und mich selbstbewusst geschminkt. So wirke ich hoffentlich unnahbar genug.
Am Anfang der Kaiserstraße steige ich über den ersten Junkie, das ist hier normal. Es dauert fünf Minuten, und schon ist man akklimatisiert. Gegenüber leuchten an den Fassaden grellrote Reklameschilder mit großen Buchstaben und großen …, na ja, Frauen oben ohne eben. Ich muss nur rüber auf die andere Straßenseite, und schon bin ich mitten im Rotlichtviertel. Neugierige Touristen streifen umher, aber auch traurige Männergestalten mit hochgeklappten Popelinekrägen. Und mittendrin ein Kiosk, in dem die Punks sich mit Bier versorgen. Wenn alle Stricke reißen, flüchte ich dort hinein. Wie tief will ich noch sinken? Alle anderen Frauen, die allein in dieser Gegend unterwegs sind, haben ein unsichtbares Preisschild auf dem Hintern kleben, Frauen sind hier nur eine Ware. Ich verachte und verurteile, was um mich herum geschieht, es ist diskriminierend und entwürdigend.
So weit die Theorie. In der Praxis habe ich einfach nur Angst, mich könnte in dieser miesen Gegend jemand erkennen. Wie peinlich wäre das!
Ich probiere als Erstes eine der Bars aus: viel Rot, goldener Stuck, weiße Siebziger-Jahre-Lampen. Sie ist heruntergekommen, aber noch einigermaßen restschick. Gilt auch für das weibliche Personal. Als einzige Frau in dem Laden bin ich normal gekleidet. Gut, normal ist immer eine Frage der Perspektive, denn ich falle auf, kein Wunder, ich habe mindestens zehnmal so viel Textil am Leib wie alle anderen Frauen zusammen.
Wenn ich jemanden wie Björn in einem weißen, mit großen Löchern versehenen Catsuit überfallen würde, das von megalomäßigen Betonbrüsten gesprengt wird, dann würde er doch bestimmt vor Entsetzen von der Bettkante springen. Oder? Stehen alle Männer auf so was? Ich bin froh, dass ich den Hosenanzug trage. Auf gar keinen Fall möchte ich als Freiwild gelten.
»Du, ich steh auf dominant«, lallt eine Männerstimme neben mir.
»Was?«
»Du suchst doch bestimmt ’n Sklaven.«
»Nein!«
»Ich zahl auch dafür, ehrlich.«
»Interessiert mich nicht. Verpiss dich!«
Der Besoffene trollt sich: »Lesbe.«
O Mann, scheint so, als wäre ich in eine echte Marktlücke gestoßen. Klar, in dieser Umgebung wird jede Frau für eine Professionelle gehalten, warum sonst sollte sie hier sein? Aber ich seh doch niemals aus wie so eine. Dachte ich. Hatte ich gehofft. Mist. Vielleicht hab ich’s mit dem selbstbewussten Make-up etwas übertrieben, zu viel Lippenstift? Wird Zeit, dass ich wegkomme, ich sollte mich dringend um mein eigentliches Anliegen kümmern. Ich bestelle einen Gin Tonic, und als der Barkeeper ihn mir serviert, halte ich seine Hand fest: »Ich bräuchte mal einen Tipp.«
»Ich habe einen Tipp für Sie«, lautet die Antwort, und er senkt die Stimme, »die zwei Typen neben Ihnen sind Zivilbullen.«
Oh. Ich nehme den Drink in die Hand, nippe mir Mut an und beobachte die Leute; Zivilpolizei unterscheidet sich vor allem durch schlechtere Frisuren von den anderen Gästen; die hingegen könnten im Privatleben genau so gut Polizisten sein. Niemand hier sieht besonders kriminell aus und schon gar nicht wie ein Killer. Aber vielleicht täuscht das auch, und ich habe einfach keine Sensoren für Verbrecher. Ich zahle, der Barkeeper nimmt das Geld und sagt zum Abschied: »Raffiniert, der Domina-Look. Machst einen auf strenge Lehrerin? Passt gut, wenn man als Nutte in die Jahre kommt.« Ich habe große Lust, ihm einen Drink ins Gesicht zu schütten, aber ich kann mich grad noch beherrschen.
Die Gruppe, die nebenan vor dem Striptease-Club aufgeregt herumwuselt, ist aber garantiert harmlos. Es sind asiatische Geschäftsleute, alle wollen in das Etablissement hinein, aber keiner wagt den ersten Schritt. Das ist meine Chance, ich mische mich unauffällig unter sie, soweit man das sagen kann; jeden meiner neuen Freunde aus Fernost überrage ich um mindestens einen halben Kopf. Zwei von ihnen fasse ich an den Schultern und schubse sie sanft Richtung Eingang; auf diese Weise ziehe ich die ganze Gruppe mit wie eine Bienenkönigin ihr Volk, ich spiele die Reiseleiterin. Die Aufregung steigt, das Geschnatter wird lauter, am Eingang sage ich zum Türsteher: »Ich zeig ihnen die Stadt.« Er nickt dezent mit dem Kopf.
Ich bin drin. War doch gar nicht so schwer. Während der Schwarm Asiaten sich der Bühne nähert, nehme ich wie vorhin an der Theke Platz. Oxana und Gwendolyn werden auf die Bühne gebeten, sie
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