nichts als die wahrheit
wissen, was du willst.«
Kosinski kam sich vor wie der Pfarrer beim Konfirmandengespräch. Er orderte noch zwei Bier. Nun komm schon, Paul, dachte er. Spuck’s aus.
Nach einer Weile seufzte Bremer wieder auf.
»Kannst du dir vorstellen, daß jemand so vom Ehrgeiz zerfressen ist, daß er für einen Job mit Macht, Ruhm und Geld auch den Tod eines anderen in Kauf nimmt?«
Das war es also.
»Vorstellbar ist alles …« Kosinski antwortete ausweichend, während er nachdachte.
»Nichts Menschliches ist dir also fremd?« Paul versuchte ironisch zu sein. Aber er klang nur besorgt und zweifelnd.
»Es geht um Anne, nicht?«
Paul nickte. Und dann sagte er: »Karen ist durchgeknallt.«
Plötzlich sehnte Kosinski sich doch wieder nach einer Kippe. Früher hatte er jede Menge Zeit schinden können, während er das zerknautschte Päckchen in Hosen-, Jacken- oder Manteltasche suchte, um sich dann möglichst ungeschickt eine Zigarette herauszufingern. Heute mußte ihm sofort was einfallen.
Dabei wußte er nicht genau, was er sagen sollte. Karen Stark hatte ihn am Montag morgen angerufen und sich nach Anne Burau erkundigt. Was er für einen Eindruck von ihr habe. Ob sie ihm als übertrieben ehrgeizig in Erinnerung war. Ob in ihr, im Klartext, womöglich ein kalt kalkulierendes Biest steckte, das für einen einflußreichen Job über Leichen ging.
»Weich mir nicht aus.« Bremer sah noch eine Spur trauriger aus, wenn das überhaupt möglich war.
»Karen hat mich angerufen und mich nach Anne Burau gefragt.«
»Und?«
»Paul! Sie hat gefragt ! Das ist völlig in Ordnung so. Sie tut doch nur …«
»… ihre Pflicht – ich hätte mir denken können, daß du das sagst.« Bremer packte das Bierglas mit beiden Händen und trank in tiefen Zügen. »Als pflichtbewußter Bulle.«
»Sie hat mir die Geschichte erzählt.« Kosinski versuchte alle Ruhe der Welt in seine Stimme zu legen.
»Und ich finde ihr Vorgehen völlig korrekt.«
»Gregor! Sie hat Anne unter Mordverdacht!«
Arme Anne, dachte Kosinski. Es war ja nicht das erste Mal.
»Hat sie das gesagt?«
»Nicht direkt. Aber …«
»Na also. Es geht doch nicht darum, was wir, du und ich, Anne Burau zutrauen oder nicht.« Kosinski erinnerte sich gut an die verwirrend warmen Gefühle, die sie damals in ihm ausgelöst hatte. Ausgerechnet in ihm, dem überzeugten Monogam – oder wie das hieß, wenn man nur eine wollte im Leben.
»Es geht darum, daß eine präzise Ermittlungsarbeit nichts und niemanden ausläßt – selbst, wenn man Freunde dabei kränkt. In einer vorurteilsfreien Ermittlung gibt es auch keine positiven Vorurteile – also warum sollte Anne eine Extrawurst gebraten kriegen?«
Bremer saß da, als hätte er am liebsten die Ohren fest zugeklappt.
»Ob Karen jemanden kennt oder mag oder nicht mag – sie muß allen denkbaren Möglichkeiten nachgehen.«
Kosinski schob Lisa den Bierdeckel hin, damit sie zwei weitere Kreuzchen draufmalen konnte. Er sah Bremer von der Seite an. Was er jetzt sagen mußte, würde dem anderen nicht gefallen.
»Und die Möglichkeit, daß Anne eine Rolle in dem Ganzen spielt, ist ja nicht ganz undenkbar.«
Wider Erwarten brauste Paul nicht auf.
»Kann sie sich so verändert haben?« fragte er nach einer Weile. »Korrumpiert Macht? Jeden?«
2
Weiherhof
Es war klamm. Es war kalt. Es war dunkel. Sie tastete sich vorwärts. Es knirschte unter ihren Füßen. »Was willst du eigentlich?« hörte sie ihn sagen – mit dieser ruhigen, etwas spöttischen Stimme. »Glaubst du wirklich, daß alle nur auf dich gewartet hätten?«
»Natürlich nicht«, wollte sie antworten, aber ihre Kehle war wie zugenäht. Wenn er doch aufhören würde zu reden.
»Niemand hat nach dir gefragt. Niemand.«
Wieder tastete sie sich einen Schritt vorwärts in die Richtung, aus der seine Stimme kam. Seine samtweiche, einschmeichelnde Stimme. Er konnte seine Bosheit so wunderbar verpacken.
»Niemand braucht dich hier.«
Natürlich nicht. Im Grunde ihres Herzens hatte sie das gewußt. Sie hatte es immer gewußt. Warum hatte sie nicht auf ihre innere Stimme gehört? Sie hörte jemanden laut und mühsam atmen, das mußte sie selbst sein, die etwas sagen wollte, verzweifelt irgend etwas antworten …
»Niemand …« flüsterte es um sie herum. Ihre Augen versuchten, die Dunkelheit zu durchdringen. Fast glaubte sie, ihn zu sehen, wie er da stand, das rechte Bein kokett angewinkelt – der Fuß in den braunen Halbschuhen wippte –, in der einen Hand die
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