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nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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gestimmt«, flüsterte Eva Seng mit eisiger Miene, als sie an ihr vorbei zu ihrem Platz ging. Anne merkte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg. Heute war wohl nicht ihr Tag.
    Emre Özbay sah sie erwartungsvoll an, als sie wieder neben ihn geglitten war.
    »Ist das immer so?« fragte sie, leicht atemlos.
    »Du meinst die Überfälle der Journaille? Meistens. Aber vergiß nicht: Du brauchst ihre Unterstützung, auch wenn es alles Aasgeier sind. Du brauchst Rückhalt in der Öffentlichkeit – zuerst gegen die eigene Fraktion. Danach gegen die eigene Partei.«
    Nach allem, was sie bislang erlebt hatte, leuchtete ihr diese Weisheit ein. Offenbar war es im Parlament wie im wirklichen Leben: Man trieb den Teufel mit dem Beelzebub aus.
    Die Sehnsucht nach dem Weiherhof umfing sie wie ein warmer Herbstregen. Wäre nicht der Gedanke an Paul Bremers zweifelndes Gesicht gewesen, hätte sie dem Verlangen nach Stallgeruch und Mistforke nachgegeben und sich zurückgeträumt in die Rhön. Anne Burau schüttelte sich und richtete sich dann kerzengerade auf. Ich laß mich nicht kleinkriegen, dachte sie.

6
    »Woher soll ich das denn wissen?« Thomas Schiffer klang beleidigt.
    »Aber du mußt die Information doch verifiziert haben!« Hans Becker versuchte, alle Geduld der Welt in seine Stimme zu legen.
    »Ich sagte dir doch: Auf meinem Schreibtisch lagen eine dpa-Meldung und eine Notiz vom Alten.« Sonnemann machte so was gern. Wann immer ihm irgend etwas auffiel, krakelte er ein »Kurze Notiz für Seite 2!« oder »Warum haben wir dazu nichts?« auf einen Zettel und ließ beides von der Novak auf den entsprechenden Schreibtisch legen. An diesen Fall aber erinnerte der Redaktionsleiter sich nicht – das hatte Becker nachgeprüft.
    »Ich bin sämtliche dpa-Meldungen am Bildschirm durchgegangen, bis zwei Wochen vor dem Erscheinen deiner Geschichte. Es gibt ein Interview mit Bunge über den Stand der Bauarbeiten in den ehemaligen Ministergärten und drei Meldungen über einen Kinderpornoring, der aufgeflogen ist. Aber keine Meldung darüber, daß Bunge …«
    »Ich sagte doch: Auf meinem Schreibtisch lag die Meldung und ein Befehl vom Alten, was draus zu machen. Und das hab’ ich auch getan.«
    In der Tat: Schiffer hatte aus dieser Meldung einen Tatsachenbericht gemacht, dessen zwanzig Zeilen geeignet waren, Alexander Bunges Karriere auf immer zu zerstören. »Kinderpornos im Parlament« hatte die Überschrift gelautet, und der Ton des Artikels versprach Enthüllungsjournalismus in der besten Tradition des Hauses. Wie sich zeigte, hatte das »Journal« die Meldung exklusiv. Erst am Tag darauf zogen fast alle Zeitungen nach. Ein großer Erfolg fürs »Journal«, dachte Becker – und eine gigantische Niederlage für den Journalismus. Kaum einer der Kollegen schien recherchiert zu haben, auf welchen Quellen der Artikel im »Journal« beruhte.
    Er seufzte tief auf, klopfte Schiffer kurz auf die Schulter und verließ dessen Büro mit dem Panoramablick auf den Gendarmenmarkt. Daß die Kollegen alle voneinander abschrieben, ohne Überprüfung, war schon schlimm genug. Aber Schiffers Haltung zu den Dingen ließ ihn innerlich beben vor Empörung. Als ob ausgerechnet bei einer Nachrichtenagentur Geistesgenies und Unfehlbarkeitsapostel arbeiteten, hatte er einfach übernommen, was dort behauptet wurde – ohne einen Rückruf bei der Kripo, ohne bei Bunge nachzuhaken, ohne auch nur irgend etwas gegenzuchecken. Dabei gab es keinen Zweifel: Schiffer war einer Fälschung aufgesessen.
    Becker öffnete die Tür zu seinem Büro, das unwesentlich kleiner war als das des Kollegen. Aus seinem Fenster heraus sah man auf die taubenkotbekleckerten Wände eines Lichtschachts. Aber nicht deshalb sehnte er sich oft nach der alten Gemütlichkeit zurück, als die Berliner Redaktion des »Journal« noch nicht das Haupstadtbüro war. Als sie alle noch in einem schäbigen Flachbau hausten, mit Büros von Kaninchenstallgröße, an den Fenstern senfbraune Gardinen, in denen der jahrzehntealte Rauch von Gauloises und Schwarzer Krauser hing.
    Hans grinste in sich hinein. Der Empfang, den die lieben Kollegen und vor allem das Sekretariat ihm vor fünfzehn Jahren bereitet hatten, als er, ein blutiger Anfänger, seinen Job antrat, war rauh und wenig herzlich gewesen. Auf seinem Schreibtisch hatte er eine betagte Kugelkopfmaschine vorgefunden, die einzige des Büros natürlich, die nicht funktionierte, und in der Schreibtischlampe mit dem roten Blechschirm fehlte die Birne.

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