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nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Es hatte Wochen gedauert, bis er aufgenommen war in die Männerrunde. Und mehrere Blumensträuße und Kuchenspenden, bis er endlich auch vom Sekretariat mit den kleinen Privilegien bedacht wurde, die für die anderen selbstverständlich waren – wie den etwas besseren Mietwagen und den schöneren Hotels auf Dienstreisen.
    Damals war das Berliner Büro noch nicht wichtig gewesen, weshalb seine Besatzung sich ersatzweise selber wichtig nahm. Fast überkam ihn ein Gefühl der Rührung, als er an den Nimbus dachte, den sie damals kultiviert hatten: einer verschworenen Gemeinschaft von Kriegsberichterstattern der Frontstadt anzugehören. Schon deshalb hatte es niemandem etwas ausgemacht, daß die Sitzgarnitur im Zimmer Walter Loewes, in dem sie die morgendlichen Konferenzen abhielten, durchgesessen war und der Gummibaum vor dem Fenster vor sich hin siechte – Frontstadtfeeling eben.
    Nein, die kühle Eleganz der neuen Büroräume war kein Ersatz für das alte Gefühl. Becker schaltete seinen Computer ein. Damals – so lange war das noch gar nicht her, aber es klang heute wie aus einer anderen Welt – schrieben fast alle ihre Texte mit Adlersuchsystem auf der Schreibmaschine oder mit der Hand und ließen sie von den Sekretärinnen ins Reine tippen. Damals arbeitete niemand am Computer. Damals kamen die Agenturmeldungen noch aus dem Fernschreiber, Ticker genannt – er erinnerte sich noch gut an die meterlangen, dünnen, rosafarbenen Papierfahnen. Er klickte sich in den Dienst der Deutschen Presse-Agentur ein. Damals wäre es fast unmöglich gewesen, eine dpa-Meldung zu fälschen. Heute war das kein Problem. Becker machte sich an die Arbeit.
    Er suchte sich eine Meldung aus dem Inhaltsverzeichnis heraus und holte sich den Text auf den Bildschirm. Aus der Titelzeile »Der ›Spiegel‹ liegt wieder vorn« machte er »Augstein-Erben kündigen Redaktionsmannschaft«. Und dann schrieb er auf, was er immer schon mal sagen wollte über das Nachrichtenmagazin aus Hamburg, bei dem die Gehälter so hoch waren, daß die meisten der teuer eingekauften Journalisten mit der Zeit vergaßen, daß sie auch nur mit Wasser kochten. Dann ließ er die bearbeitete dpa-Meldung ausdrucken.
    Sonnemanns Krakel nachzumachen war kinderleicht. Er hatte heute früh der Novak einen Zettel hingelegt, auf dem der Redaktionsleiter sie aufforderte, Becker tausend Mark aus der Spesenkasse zu geben. Sie hatte mit gerunzelter Stirn erst auf das Papier, dann auf Becker geguckt, aufgeseufzt und dann das unterste Schubfach des Schreibtischs aufgeschlossen, in dem die Kasse stand. Erst da hatte Becker sie über sein Experiment aufgeklärt – er überprüfe die Fälschungssicherheit der redaktionellen Kommunikation, hatte er als Erklärung nachgeschoben.
    »Die moderne Technik«, hatte sie in Verkennung der Zusammenhänge gesagt und den Kopf geschüttelt. »Das ist noch unser aller Untergang.«
    Er wußte, worauf sie anspielte. Bei den Kollegen vom »Anzeiger« hatte vor einem Monat ein noch immer unbekannter Täter eine sich als Druckfehler tarnende sinnentstellende Frechheit ins Blatt redigiert – kurz vor dem Andruck. So etwas war kinderleicht. Zu diesem Zeitpunkt hatten die meisten Kollegen bereits Feierabend gemacht. Man konnte sich völlig ungestört an irgendeinen der zahllosen Monitore setzen, sich mit der Praktikantenkennung anonym einloggen und in jedem der Artikel nach Lust und Laune herumpfuschen.
    Derjenige, der vor vier Wochen den dpa-Bericht über Bunge und die Notiz des Redaktionsleiters gefälscht hatte, war es konventioneller angegangen, aber im Grunde weit geschickter. Er hatte sich eines anderen bedient, eines Kollegen, der dafür bekannt war, daß er es nicht so genau nahm mit der Wahrheit. Ein wortverliebter Schönschreiber eben, dem es mehr darauf ankam, daß die Geschichte richtig »fiel«, als daß sie stimmte. Becker verachtete Journalisten mit einer solchen Berufsauffassung gründlich.
    Mit dem Ausdruck des fiktiven Berichts und mit der gefälschten Notiz von Sonnemann ging er rüber zum Alten. Ihm war mulmig zumute. Nicht, weil er einen Kollegen anschwärzte – Schiffer hatte sich das völlig verdientermaßen eingehandelt. Nicht, weil er Sonnemanns Zorn fürchtete. Sondern weil ihn der Gedanke beschäftigte, daß ein ihm noch unbekannter Kollege nicht nur ein skrupelloser Fälscher war, sondern auch einen Menschen auf dem Gewissen hatte. Er sah keinen Grund für Zweifel: Alexander Bunge mußte sich zu Tode gestürzt haben, weil

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