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nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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plötzlich, daß sie sich auf den Abend mit Emre freute.

3
    »Also, das muß dir doch auch auf den Wecker gehen, dieser Schnarchjournalismus!«
    Hans Becker versuchte an Paulas Beinen vorbeizustarren, die sie provozierend schlenkerte. »Fakten sind nie langweilig, Paula«, sagte er. »Und außerdem sind wir keine Boulevardzeitung.«
    Seit sie vor drei Wochen ihr Praktikum angetreten hatte, kam sie fast jeden Tag bei ihm vorbei, setzte sich auf den Schreibtisch, wobei ihr der Rock meistens ziemlich weit hochrutschte, ließ die Beine baumeln und redete auf ihn ein. Sie war jung, süß und hatte keine Ahnung. Er verzieh ihr alles und noch viel mehr – sogar, daß er sich in ihrer Gegenwart steinalt fühlte.
    »Geschrieben von alten Säcken für alte Säcke!«
    Hans Becker hätte beinahe laut aufgeseufzt. Wenn es nicht Paula wäre … Jeden anderen Praktikanten, Hospitanten oder blutjungen Berufsanfänger, der in seiner Gegenwart den Journalismus neu erfinden wollte, hätte er hochkant hinausgeworfen.
    »Wir brauchen andere Textsorten. Mehr Glossen, mehr Kolumnen. Die kurze Form eben. Nicht nur Nachrichten, Kommentare, Essays.«
    Becker versuchte seinen Blick von ihren Fesseln zu lösen. Paula war wunderbar. Paula war hinreißend. Und vielleicht würde sie ja irgendwann begreifen, wie schnell man dieser angeblich innovativen Schreibe überdrüssig war. Wie bald der Leser die tägliche Glosse überblättert. Wie blitzartig sich ein Kolumnist verschlissen hat.
    Er blinzelte sie an, die kleine, dunkelblonde Person, die hübscher war, als es in seinem Büro erlaubt sein sollte, wie sie da saß, im kurzen Rock, mit einer nur auf den ersten Blick züchtigen weißen Bluse und einer verwegenen Brille auf der Nase, die sie wahrscheinlich nicht brauchte und sich nur zugelegt hatte, damit man sie für intellektuell hielt.
    »Du solltest aufhören, das Rad neu erfinden zu wollen, Paula. Versuch es doch einfach mal mit korrekter Recherche, sauberem Denken …«
    »… klarer Aussage und gutem Stil«, leierte sie und drehte die Augen himmelwärts.
    Becker zuckte die Achseln und suchte in der Schublade nach dem Brillenputztuch. Sie mußte doch langsam gemerkt haben, daß man mit ihm über »innovatives Schreiben« nicht diskutieren konnte.
    »Hansi, du bist ein Spielverderber.« Sie hatte die schönen dunklen Brauen gerunzelt.
    »Jung und innovativ sein hilft im Journalismus selten weiter. Lebenserfahrung schon eher.« Becker lehnte sich in seinen Sessel, legte die Füße auf den Schreibtisch und nahm die Brille von der Nase. So was hätte ihm mal einer erzählen sollen – früher, dachte er und begann, die Brillengläser zu polieren.
    »Na gut«, sagte sie nach einer Weile und reichte ihm das Blatt Papier, mit dem sie sich Luft zugewedelt hatte. »Und was hältst du davon?«
    Hans setzte die Brille wieder auf und überflog den 45-Zeiler. Es war eine freche Abrechnung mit einem Schriftsteller, der es mittlerweile gewohnt sein mußte, als umstritten zu gelten.
    »›Diesbezüglich‹ ist ein Unwort, Paula.«
    »Aber das ist doch ironisch gemeint!«
    »Ironie versteht der Leser nicht.« Hans las weiter. »Es gibt zwar Ananas, aber keine Internas«, sagte er ohne aufzublicken.
    »Ach, komm!« Paula wippte ungeduldig mit den Beinen.
    »Es muß heißen: ›Walde erklärte, er habe gesagt‹, nicht ›er hätte gesagt‹, wobei mir das ›erklärte‹ auch nicht gefällt.«
    Paula zog einen Flunsch. »Ich will doch nur wissen, ob das nicht mal eine Alternative …«
    Hans hob abwehrend die Hand und las weiter. Dann legte er das Blatt behutsam auf den Schreibtisch. »Hat er nun gesagt, er rufe die Einwohner Berlins zu massenhaften Gegendemonstrationen auf?«
    Sie zog die Schultern hoch. »Er kann nichts anderes gemeint haben.«
    »Schon gut – aber hat er es auch gesagt ?«
    »Man kann es eigentlich nur so verstehen …«
    »Hat er es gesagt ? Das , Paula, ist die Frage im Journalismus, nicht, was du verstehst, meinst, hineininterpretierst oder unterstellst.«
    Sie sah ihn gekränkt an. Er hätte sie am liebsten in den Arm genommen und »Du hast ja recht« gesagt – einerseits. Im Journalismus wurde gelogen, daß sich die Balken biegen – und schon mal richtig vorgeführt, wen man aus irgendwelchen Gründen nicht mochte. Erst gestern hatte der Kollege Schiffer strahlend in der Tür gestanden und geprahlt: »Ich hab ihn fertiggemacht, den Drecksack.«
    Becker haßte diese Einstellung. Sie verstieß gegen das, was er noch immer für den

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