nichts als die wahrheit
Alter. Plötzlich fiel ihm das verkniffene Lächeln wieder ein, mit dem Zettel sich für das Hundefoto bedankte, das Lilly ihm zum Geburtstag überreicht hatte.
Zettel war ihm immer wie jemand vorgekommen, dem ein soziales Gen fehlte. Klar sah er gut aus mit seinen braunen Augen und den schmalen Händen. Zugleich hatte er ein unschlagbares Talent, sich unsichtbar zu machen – eine gute Vorbedingung für einen Beruf, in dem es galt, auch das mitzuhören und zu sehen, was einen nichts anging. Sein Meisterstück war die Überführung des alten Senger gewesen, des korrupten Oberbürgermeisters am Rhein – niemand hatte damals auch nur geahnt, hinter was Zettel her gewesen war, bis er die Geschichte aus dem Ärmel gezogen hatte. »Ich hab ihn guillotiniert!« Becker erinnerte sich noch gut an Zettels kindisch-grausamen Stolz auf seine Heldentat.
Die Wärme fehlt ihm, dachte Hans plötzlich. Peter Zettel fehlt die nötige Wärme für ein Haustier. Schon damals hatte er seltsam ausweichend reagiert, als ihn alle fragten, wie denn ausgerechnet er auf den Hund gekommen sei. Ein Nachbar sei gestorben, hatte er gesagt, und um dessen auch nicht mehr ganz junges Tier habe sich jemand kümmern müssen.
Jemand – gut. Aber Peter Zettel?
»Amber« hatte er die Hündin gerufen. Amber – das war das englische Wort für Bernstein. Einer plötzlichen Eingebung folgend tippte Becker »Bernstein« auf der Tastatur – das paßte zu Zettels sprichwörtlicher Suche nach dem Bernsteinzimmer. Daneben.
»Noch ein Versuch!« drohte es vom Bildschirm. Ohne große Hoffnung gab Hans »Amber« ein. Ein Klingeln, und ein leises »Willkommen!« erklang aus den Lautsprechern, und auf dem Bildschirm erschienen die vertrauten bunten Icons.
Becker verschwendete keinen Gedanken mehr an Skrupel und andere edle Vorbehalte. Er setzte sich an den Schreibtisch und ließ seine Finger über die Tastatur fliegen. Zettel hielt auch auf seiner Festplatte Ordnung. Der Papierkorb enthielt kein einziges Dokument mehr. Becker klickte auf das Symbol gleich neben dem Papierkorb, das wie ein kleines Buch aussah. Auf dem Bildschirm erschien ein überdimensioniertes Kalenderblatt. Er war in Zettels Terminkalender gelandet.
Jetzt fragte er sich doch, was er hier zu suchen hatte. Dennoch blätterte er durch den elektronischen Kalender – mit dem wenig erstaunlichen Ergebnis, daß, nach den Eintragungen »A.B.« oder »A. Bu.« zu urteilen, Zettel engen Kontakt zu Alexander Bunge gehalten hatte. Der Abgeordnete war als Vorsitzender der Baukommission des Ältestenrats der beste Informant für Zettels Projekt »Baustelle Berlin«. Das Verhältnis hatte fast wie Freundschaft ausgesehen – wenn es so etwas wie Freundschaft gab im Leben Peter Zettels.
Hans Becker klopfte unschlüssig mit dem Zeigefinger auf die Schreibtischplatte. Warum sollte Zettel ausgerechnet einen Abgeordneten denunziert haben, von dem er profitierte?
Im Grunde hielt er die Art von Denunziation, deren Opfer Bunge augenscheinlich geworden war, für eine weibliche Spezialität. Das hatte, bildete er sich ein, nichts mit Frauenfeindlichkeit, sondern mit Menschenkenntnis zu tun. Isolde Menzi stand ganz oben auf seiner Liste. Der Haken war nur: Es war bekannt, daß sie ein überaus schlechtes Verhältnis zu allen elektronischen Medien hatte und ihre Texte noch immer mit der Hand schrieb.
»Wenn Ihre Schrift wenigstens lesbar wäre!« hatte er die Novak kürzlich sagen hören, mit einem Zischen in der Stimme, als ob sie gleich einen Giftzahn entblößen und Isolde in den Hals rammen würde. Sonnemanns Texte tippte sie anstandslos ab, auch die Diktate von Zettel, den sie wie den Kronprinzen behandelte.
»Haben Sie was gegen Frauen, Frau Novak?« Isolde hatte breit gegrinst.
»Ich habe nur was gegen Damen, die sich Privilegien anmaßen!« Die Novak hatte hoheitsvoll geklungen. In ihren Augen maßten sich wahrscheinlich alle Frauen etwas an, die das sein wollten, was sie »etwas Besseres« nannte.
Als Hans ein Geräusch vor der Tür hörte, schaltete er den Computer auf standby und erhob sich hastig aus dem Schreibtischsessel. Im gleichen Moment wurde die Tür aufgerissen, und eine Stimme rief: »Zettel, wo warst du, verflixt!«
»Hansi?« In der nächsten Sekunde hatte Jo Eyring ihn erkannt. »Was machst du denn hier?«
Nicht, daß dich das etwas angeht, dachte Hans und sagte: »Ich habe Peter ein paar Infos zu seinem Baustellenprojekt herausgesucht.«
»Schön, aber wo ist der Kerl?«
Hans hob
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