Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
Vom Netzwerk:
Lederband.
    »Amber!« Sie schrie, obwohl sie wußte, daß Schreien zwecklos war.
    Schreien war immer zwecklos. Im Sommer war die Luft in den Wäldern und über den Feldern der Rhön erfüllt von den verzweifelten Schreien der Hundebesitzer nach ihren Tölen, die eine unwiderstehliche Fährte in der Nase hatten und ihr folgten. Amber würde zurückkommen, wenn es ihr paßte. Oder waren Stadthunde anders?
    Anne ging erst schneller, dann fing sie an zu laufen. Was, wenn dem Hund was passierte? Was, wenn Peter Zettel sie verantwortlich machte – der es womöglich keineswegs für einen Gefallen hielt, wenn sie sich um seinen Hund kümmerte?
    Noch konnte sie Amber sehen; daß sie um die Ecke geflitzt war, erkannte sie wenig später an der Reaktion der Leute, die sich nach ihr umsahen. Schließlich sah sie das Tier an einer Schlange von Leuten vorbei in einen Eingang stürmen, der sich wie ein dunkles Loch in einem Hügel mitten auf einem großen Platz auftat. Als Anne nähergetrabt kam, sah sie die Leute lachen. An der Eingangstür saß eine junge Frau, vor sich eine Geldkassette.
    »Der Hund!« Anne hörte sich japsen.
    »Ist schon gut«, sagte das Mädchen freundlich. »Laufen Sie nur.«
    Nach einigen Metern mußte sie anhalten. Geblendet vom Tageslicht, hatte sie im Dunkeln die Orientierung verloren. Nach allem, was sie sah, befand sie sich in einer großen, aus hellrotem Klinker gemauerten Halle, aus der Abzweigungen nach links und nach rechts führten, in noch tieferes Dunkel.
    »Amber!« rief Anne und kam sich im selben Moment unerträglich hilflos vor.
    Auf ihren Ruf glaubte sie erst ein fernes Kläffen zu hören, aber dann rollte auch schon das Echo heran und über sie hinweg – »Amber!« vielfach verstärkt, verzerrt, wiederholt und nur ganz langsam leiser werdend. Ohne nachzudenken wandte Anne sich nach links. In einem kränklichen Licht, dessen Quelle sie nicht erkennen konnte, tastete sie sich an feuchten Klinkerwänden entlang, vorbei an Eisentüren, die mit schweren Fallriegeln verschlossen waren. Neben und über ihr wisperte es, sie hörte Lachen, Rufen, Quieken. Das Echo verzerrte, vergröberte und vergrößerte alle Geräusche, selbst ihr eigener Atem kam ihr plötzlich unnatürlich laut vor. Oder – gehörte das gehetzte Keuchen zu jemand anderem?
    War jemand neben ihr? Oder hinter ihr her?
    Anne stockte der Atem. Sie hörte Schritte vor sich, glaubte es atmen zu hören aus der Maueröffnung, die sich rechter Hand auftat. Sie ging schneller, dann begann sie zu laufen, in wachsender Panik. Die Bilder in ihrem Kopf begannen herumzuwirbeln. Sie glaubte sich plötzlich wieder in der Kühlkammer, damals, als sie auf ihren Mörder wartete und in dem engen Raum hin- und herlief, um nicht zu erfrieren. Die Dunkelheit schien sich über sie zu senken, schien von allen Seiten her näher zu rücken, und zugleich war einer in der Dunkelheit unterwegs, war hinter ihr her.
    Ihr Herz raste. Sie hatte das Gefühl, im Kreis zu laufen, weiter, immer weiter. Als irgendwann ihr Arm etwas streifte, etwas Warmes, etwas Lebendiges, wie sie sich einbildete, schrie sie laut auf. Bevor das Echo ihres Schreis zu ihr zurückgerollt war, hatte sie jemand von hinten gepackt, ihr die Hand auf den Mund gelegt und sie in eine Nische gezogen, an der sie eben vorbeilaufen wollte.
    Sekundenlang fühlte sie sich wie betäubt, wie nach einem Schlag. Unendlich lang kam ihr die Zeitspanne vor, in der sie gelähmt war vor Entsetzen.
    »Ruhig«, flüsterte eine Stimme an ihrem Ohr. »Ruhig. Beruhigen Sie sich.«
    Beruhigen? Bei diesem Wort überschwemmte Adrenalin ihr Nervensystem und sie versuchte sich mit all ihrer durch Panik verstärkten Kraft zu befreien. »Ruhig«, sagte der Mann. »Ich tu Ihnen nichts.« Er nahm die Hand von ihrem Mund.
    Sie atmete in tiefen Zügen ein.
    »Wovor auch immer Sie Angst hatten – es ist vorbei«, sagte die Stimme, die eine Sprachmelodie hatte, die ihr bekannt vorkam.
    Und langsam drang er zu ihr durch – seine Stimme. Die Wärme seines Körpers. Die Härte seiner Muskeln. Die Sehnsucht, sich fallen zu lassen, wurde unwiderstehlich – obwohl sie ihn kaum kannte, den Mann. Den Amerikaner.
    »Was wollen Sie von mir?« flüsterte sie.
     

DRITTER FALL
     

1
    Rhön
     
    Als Bremer aufs Rad stieg, begann die Sirene zu jaulen, die auf der schmucklosen Schuhschachtel montiert war, die sich Dorfgemeinschaftshaus von Klein-Roda nannte. Sekunden später schloß sich die Sirene von Groß-Roda an, und als er aus

Weitere Kostenlose Bücher