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nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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der Faden der Ariadne. Sie ging schneller, leuchtete den Weg aus, indem sie den Lichtkegel hin- und herfahren ließ.
    Als sich rechts von ihr ein gähnendes Loch in der Wand auftat, ließ sie vor Schreck die Taschenlampe fallen. Die Lampe erlosch, Dunkelheit warf sich über sie. Nur mühsam unterdrückte sie einen Aufschrei.
    Anne ging auf die Knie, ließ die Hand über den rauhen, nassen Boden gleiten auf der Suche nach der Lampe. Ihre Augen starrten in undurchdringliche Schwärze. Das Atmen wurde ihr schwer, während sie sich einbildete, die Wände würden immer näher rücken, die Decke sich auf sie herabsenken, sie ersticken, sie erdrücken. Panisch kroch sie vorwärts und zwang sich schließlich zum Innehalten: So würde sie die heruntergefallene Lampe nie finden. Und je verzweifelter ihre Augen die Dunkelheit zu durchdringen versuchten, desto näher rückten sie, die Schreckensbilder.
    Sie hörte kurze, knappe Befehle. Sah heranmarschierende Schaftstiefel. Totenkopfembleme auf dunklen Uniformen.
    »Die Leibstandarte Hitler umfaßte zum Schluß noch etwa dreihundert Männer«, hatte sie im Buch über den Führerbunker gelesen. »Man hatte rechtzeitig Waffen und Munition gebunkert, mit denen man sich mindestens sechs Monate hätte verteidigen können.«
    Sie stöhnte vor Erleichterung auf, als ihre Hand den Griff der Taschenlampe ertastete. Mit zitternden Fingern nahm sie die Lampe auf, suchte nach dem Schalter und hoffte, daß sie noch funktionierte. Als das Licht wieder anging, setzte ihr Herz für den Bruchteil einer Sekunde aus. Für einen kurzen Moment hatte sie an ihre Phantasien geglaubt – daran, daß jemand vor ihr stehen würde, lächelnd, mit schmalen Lippen, in Uniform, die Hundepeitsche in der Hand, die rhythmisch gegen die auf Hochglanz polierten Stiefel klopfte.
    Mühsam kam sie wieder auf die Füße. Dann ging sie vorwärts. Der Gang schien schmaler zu werden, aber vielleicht bildete sie sich auch das nur ein. Vorsichtshalber tastete sie sich an der Wand entlang. Unter ihren Händen war die Wand rauh und feucht und grobkörnig, und ein grauer Betonschleier stand in der Luft. Das Atmen fiel ihr immer schwerer.
    Nach ein paar Metern öffneten sich rechts und links des Ganges zwei weitere Gänge. Sie leuchtete hinein. Mannsdicke Rohre, verrostet und verkalkt, stiegen aus der Erde bis unter die Decke des Raums. Der Gang auf der anderen Seite führte ebenfalls nicht weit. Hier stand Wasser, eine brackige braune Brühe, in der sich die zerborstene Decke spiegelte. In der hintersten Ecke meinte sie einen Stuhl und zwei Flaschen zu erkennen.
    Sie ging weiter. Der Geruch, den sie vorhin nicht identifizieren konnte, wurde stärker – ein durchdringender, ekelerregender Geruch, der sie unwillkürlich die Hand vor Mund und Nase legen ließ.
    Abrupt endete der Gang. Die Lampe beleuchtete eine graue Mauer, an der Wassereinbruch dunkle Spuren hinterlassen hatte. Sie leuchtete nach rechts, in einen abzweigenden Gang. Trümmer versperrten ihn, sie konnte nicht erkennen, wie unüberwindlich die Barriere war.
    Dann glaubte sie, ein Winseln zu hören. Amber? Sie versuchte zu rufen. Es wurde ein Krächzen. Aber der Hund mußte da sein, hinter der Geröllhalde, es gab keine andere Möglichkeit. Erst kletterte sie, dann kroch sie auf Händen und Füßen über den Wall aus Schutt und Betontrümmern. Je näher sie der Decke kam, desto enger wurde ihr die Brust. Der Beton senkte sich wie ein Sargdeckel auf sie herab, wieder sah sie sich eingeschlossen, ohne Licht, ohne Luft, zum Ersticken verdammt.
    Ihre schweißnasse Hand umklammerte die Taschenlampe, mit der Rechten suchte sie Halt an einer zerborstenen Betonplatte, zog sich hoch und kroch über die Geröllhalde. Ihre Hand brannte. Ihre Hosen mußten erbärmlich aussehen.
    Jetzt hörte sie den Hund leise heulen. Der Geruch, der ihr zuvor schon aufgefallen war, schien stärker geworden zu sein. Geruch? Sie rümpfte die Nase. Das war kein Geruch. Das war Gestank. Endlich hatte sie die Barriere überwunden, sie ließ sich den Geröllhaufen hinabgleiten und tastete sich auf dem unebenen Boden vor. Es stank nach stehendem Wasser. Und nach dem, was ein heißer Sommertag aus einer totgefahrenen Katze machte.
    Es stank nach Verwesung.
    Der Boden unter ihr senkte sich leicht, rechts oben an der Wand hatte Tropfwasser grünlichschwarze und kalkweiße Zapfen gebildet. Heruntergefallene Brocken knirschten unter ihren Schuhen. Der Geruch ließ sie plötzlich würgen, es roch wie

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