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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Mörder von dem geplanten Verkauf? Ja, denkt sie. Er kennt das Haus, er schickt mir Fotos von der Fassade. Der Verkauf war der Auslöser für den Mord an Jonas. Jonas durfte das Haus nicht verkaufen. Warum nicht? Weil es dort drin etwas gibt, das der Täter erhalten will?
    Regina Sädlich schlingt die Arme noch fester um ihren Leib.
    »Muss ich da jetzt mit rein?«
    »Nein, danke. Später vielleicht.«
    Judith nimmt ihr den Hausschlüssel ab, bittet sie, draußen zu warten, läuft die letzten Meter zu Jonas Vollenweiders Haus. Dunkelbraun. Ocker. In den Ritzen zwischen den Betonplatten wächst Unkraut und Moos. Die Thujahecke stinkt nach Katzenpisse. Thuja. Lebensbaum. So fehl am Platz hier. Würde sie noch rauchen, könnte sie die Katzen vermutlich nicht riechen.
    Ihre Hände schwitzen in den Latexhandschuhen, das Plastik der Schuhüberzieher klebt an ihren Fußknöcheln.
    Manni ist im Garten stehen geblieben und telefoniert mit dem Makler, bittet ihn zu kommen, schnell, sofort. Sie steckt den Schlüssel ins Schloss, öffnet die Haustür, zieht sie hinter sich zu. Der erste Eindruck allein, so wichtig, so wertvoll, nicht immer zu haben. Das Haus riecht nach Staub und Verlorenheit. Die Luft scheint verdichtet, ja beinahe giftig, als ob über Wänden und Möbeln ein Schimmelpelz liegt. Noch etwas steigt Judith in die Nase, etwas, das sie nicht deuten kann und hier auf gar keinen Fall erwartet hat. Unwillkürlich greift sie nach ihrer Walther und dreht sich einmal um die eigene Achse. Was war das gerade für ein Geruch, der so fremd wirkte, beinahe klinisch? Nichts, gar nichts, nur ihr Hirn, das verrücktspielt, seitdem sie nicht mehr raucht. Sie versucht sich zu entspannen und ganz normal zu atmen. Hier war nie ein Besucher willkommen, weiß sie plötzlich, weiß zugleich, dass sie keinen Beweis dafür hat, dass das nichts als eine Mutmaßung ist, eine Fantasie.
    Sie tastet sich vorwärts, orientiert sich an den Lichtstreifen, die durch die Ritzen der Rollos dringen, gelangt in einen Raum, der vermutlich das Wohnzimmer war. Steinfliesen auf dem Boden, kein Teppich, die Ausdünstungen alter Möbel. Holz, Stoff und vom Alter verkrusteter Leim. Jemand hat ihr Fotos von diesem Haus geschickt, sie ist jetzt sehr sicher, dass es so ist. Fotos von der Fassade, schon vor Jonas Vollenweiders Ermordung. Er hat das getan. Der Täter. Er war hier, seine Präsenz sitzt hier fest, ist in diesem Haus gefangen, lebendig, greift nach ihr. Staub steht vor den Schlitzen der Rollos im Licht. Wieder glaubt sie, Schimmel zu riechen, weiß zugleich, dass das Einbildung ist, genauso wie die Präsenz des Täters. Schimmel, der Schimmel, das Pferd. Dasselbe Wort. Unpräzise also. Unzulänglich. Was macht sie hier eigentlich, was glaubt sie, hier zu finden, allein, im Dunklen? Hier ist nichts mehr, kann nichts mehr sein, nicht nach all den Jahren. Doch die Fotos sind echt. Sie hat ihre Bedeutung nur nicht gleich verstanden, sie für einen schlechten Scherz gehalten. Jetzt muss sie sie an die KTU geben, denn sie weiß, dass der Täter ihr damit etwas sagen will. Ihr, warum ihr?
    »Judith, bist du verrückt? Warum wartest du nicht auf mich? Die KTU …«
    Manni kommt ins Haus. Sie hört seine Schritte, ein Kläcken, und dann taucht die Deckenlampe das Zimmer in gleißendes Licht. Eine Eichenholz-Schrankwand, die Judith an einen Beichtstuhl erinnert, wird sichtbar, ein gedrechselter Couchtisch, ein klobiges, dunkelgrünes Sofa, drei Sessel. Ein Ölgemälde, auf dem ein antikes Segelschiff in düsteren Wogen zu kentern droht.
    »Anheimelnd.« Manni zieht die Augenbrauen hoch. »Der Makler ist in einer Viertelstunde hier«, sagt er dann. »Er sagt, Jonas Vollenweider hätte die Rollos gleich wieder runtergezogen, nachdem sie im Erdgeschoss mit der Besichtigung fertig waren, also lassen wir das jetzt auch so, für die KTU.«
    »Ist ihm irgendwas an Jonas aufgefallen? War er nervös, ängstlich?«
    »Nein, er wirkte eher erleichtert, sagt er. Entschlossen, sich von einer alten Last zu trennen.«
    Hintereinander steigen sie die Treppe hinauf zum Schlafzimmer. Die Rollos in diesem Raum sind hochgezogen, die Fenster sind blind vor Schmutz und machen das Abendlicht, das hereinfällt, eigentümlich diffus. Hat Jonas Vollenweider das so gewollt: Zwielicht am Tatort und im Wohnzimmer Dunkelheit? Hat er deshalb die Rollos im Parterre gleich wieder runtergelassen? Fragen, so viele Fragen. Jahrelang hat er diesen Tatort konserviert, und kaum verabschiedet er

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