Nichts als Erlösung
eine regionale Spezialität.
Wieder leitet ihn der Navi nach links, in eine Straße mit offenbar älteren Häusern, in deren Mitte ein Streifenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht steht. René Zobel bremst abrupt und rangiert in eine Parkbucht. Besser, sich erst mal zu Fuß umzusehen, ganz unauffällig. So kann er die beste Ausgangsposition für seine Fotos finden. Er trinkt ein paar große Schluck Wasser und holt die Nikon aus der Tasche. Das Todeshaus, das Bluthaus, eine Geschichte, die selbst dem mit allen Wassern gewaschenen Rufus Feger keine Ruhe ließ, ein seit Jahrzehnten ungesühntes Verbrechen.
Er ist nah, ganz nah dran an etwas Großem.
***
Das Erste, was ihr an dem Haus auffällt, ist die Farbe. Ocker. Ein dunkelbraun getünchter Sockel. Judith bleibt stehen, die Klinke des Gartentors in der Hand, starrt auf die Fassade, den Betonplattenweg, die mit Rollladen verschlossenen Fenster. Das Schild eines Maklers.
»Jonas wollte verkaufen.« Manni drängt sich neben sie, runzelt die Stirn, als sie nicht reagiert. »Was ist los?«
Sie schüttelt den Kopf, tastet sich weiter vor. Ocker. Braun. Frag jetzt nichts, bitte. Sag jetzt nichts.
Das Haus ist verwaist, seit 20 Jahren unbewohnt. Alles darin ist noch so, wie es Jonas Vollenweider hinterließ, hat Regina Sädlich erklärt, die damals die Polizei rief und noch immer im Nachbarhaus lebt. Eine rundliche Dame mit grauem Kurzhaarschnitt. Sie hat im Haus der Vollenweiders hin und wieder nach dem Rechten gesehen, sie hat aufgeschlossen, wenn der Mann von den Stromwerken kam, um die Zähler abzulesen, oder der Schornsteinfeger. Im Winter hat sie die Heizung angedreht, nur wenn es sehr kalt war, unter null Grad, damit die Leitungen nicht einfrieren.
»Warum hat Jonas das wohl so gewollt?«, fragt Judith und dreht sich zu der Frau um, die jetzt nicht mehr patent wirkt, sondern ängstlich und die Schultern hochzieht.
»Man hilft doch gern«, sagt Regina Sädlich zögernd. »Ich habe nicht weiter gefragt. Er hat das nicht erklärt.«
Er. Jonas Vollenweider. Das Opfer. Verdächtig des Mordes an seiner Familie. Und trotzdem der Erbe, der rechtmäßige Besitzer.
»Er hat all die Jahre Strom, Gas und Wasser für dieses Haus bezahlt?«
»Ja.« Auf Regina Sädlichs Brust hängt ein mit Strasssplittern besetzter silberner Teddybär. Sie greift danach, spielt mit den winzigen Pfoten, die Strassaugen funkeln in einem unnatürlichen Blau.
»Und vor zwei Wochen hat er einen Makler beauftragt, das Haus zu verkaufen?«
»Ja, von Griechenland aus. Der Makler kam her und stellte das Schild auf.«
»Warum?«, fragt Judith wieder. »Warum gerade jetzt, nach all den Jahren?«
»Das hat Jonas mir nicht gesagt.«
»Er hätte das Haus doch schon viel früher verkaufen können, oder vermieten?«
Hätte, könnte. Regina Sädlich verschränkt die Arme, umklammert die Ellbogen, presst sie auf ihren Bauch, als müsse sie sich wärmen, bei dieser Hitze.
»Vielleicht wollte er alles so lassen, weil der Schuldige doch nicht gefunden war?«, flüstert sie. »Vielleicht hat er immer gehofft, das würde noch aufgeklärt.«
»Und dann, vor zwei Wochen, hat er plötzlich die Hoffnung aufgegeben?«
»Ich weiß es doch auch nicht. Das ist alles so schrecklich.«
Das. Das Unaussprechliche. Das Verbrechen. Jonas Vollenweider will endlich verkaufen, und am nächsten Tag ist er tot, genauso brutal ermordet wie Jahre zuvor seine Familie.
Regina Sädlichs Blick flieht zur Seite, weg vom Haus der Vollenweiders, weg von den Kommissaren, die vor ein paar Minuten mit einer weiteren Hiobsbotschaft in ihr Leben geplatzt sind.
»War Jonas Vollenweider seit damals manchmal hier?«, fragt Judith.
Regina Sädlich zögert. »Drei- oder viermal vielleicht. Aber immer sehr kurz und nie über Nacht. Er musste ja wohl auch hin und wieder ein paar Formalitäten in Deutschland erledigen, seinen Ausweis verlängern lassen, so etwas. Wenn er kam, schaute er immer bei mir vorbei, gab mir ein bisschen Geld, fragte, wie es geht.«
»War er allein?«
»Ja. Immer. Der arme Junge. Nur letzten Freitag kam er mit dem Makler her, um dem das Haus von innen zu zeigen.«
»Sie hatten den Makler zuvor nicht hereingelassen?«
»Nein: Jonas wollte das nicht. Er wollte den Schlüssel selbst übergeben, Abschied nehmen wohl auch. Mittwoch sollte ein Entrümplungsunternehmen kommen.«
Regina Sädlich nestelt die Visitenkarte des Maklers aus ihrer Rocktasche. Judith betrachtet sie, gibt sie dann Manni. Wusste Jonas’
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