Nichts als Erlösung
Plus: Es gab in den oberen beiden Stockwerken des Hauses keinerlei Fingerabdrücke oder Spuren von Fremden.«
»Wie hat er reagiert, als ihr ihn damit konfrontiert habt?«, fragt Judith Krieger.
»Tja.« Dannenberg starrt einen Moment ins Leere, als lasse er die Szene von damals vor seinem inneren Auge ablaufen. »Schockiert reagierte er sicherlich, wenn auch nicht gerade zu Tode betrübt. Unsere Suchmeldung über Radio habe er nicht gehört, sagte er. Nach dem erneuten Streit mit seinem Vater habe er auch keine Veranlassung gesehen, nochmals in Hürth anzurufen. Er sei gegen 23 Uhr gefahren, und da hätten alle noch gelebt. Behauptete er jedenfalls. Er habe dann auf dem Weg zum Bodensee zweimal wild irgendwo in Süddeutschland gecampt – ohne Zeugen, allein in der Pampa. Ob das nun stimmt oder nicht – eindeutig beweisen oder widerlegen ließ es sich nicht.« Dannenberg macht eine Pause, lenkt seine Aufmerksamkeit wieder auf den Laptop. »Mir persönlich war er dafür, dass anscheinend gerade seine ganze Familie ausgelöscht worden war, ein bisschen zu gefasst. Zu cool, wie man so sagt. Auch andere sahen das so, was mit dazu führte, dass sich der Verdacht gegen ihn erhärtete. Aber nun …«
Schweigen breitet sich aus, ein paar Momente Stille, lediglich unterbrochen von leisem Geraschel, wenn jemand eine Seite in der Ermittlungsakte umschlägt. Manni versucht sich das Szenario vorzustellen. Die Eltern im Bett, die Schwester in ihrem Zimmer ein Stockwerk darüber. Der 22-jährige Sohn, der eigens zum Geburtstag seiner Schwester angereist ist, Blümchen überreicht und dann, als die anderen eingeschlummert sind, plötzlich Amok läuft und seine Familie mit einer Axt niedermetzelt, die Leichen verschwinden lässt, alle Spuren wie ein Profi verwischt, um sich alsbald ins sonnige Griechenland abzusetzen. Es könnte tatsächlich so gewesen sein, ein perfekter Mord. Doch wenn es so war, wer hätte dann einen Grund gehabt, Jonas Vollenweider regelrecht hinzurichten, sobald er Jahrzehnte später wieder deutschen Boden betrat? Jemand, der seinen Eltern oder seiner Schwester sehr nahegestanden hatte? Ein anonymer Mitwisser der Tat, der auf Rache sann? Ein Komplize? Vielleicht, denkt Manni, vielleicht aber auch nicht. Denn möglicherweise war Jonas Vollenweider tatsächlich unschuldig und hatte sein Elternhaus längst wieder verlassen, als die Morde geschahen. Doch das würde bedeuten, sein Vater oder seine Schwester hätten das Blutbad angerichtet. Oder ein völlig anderer Täter, der bislang nicht einmal in Verdacht geraten ist. Ein Fremder, der eine Rechnung mit den Vollenweiders offen hatte. Oder ein Verrückter. Doch wenn dem so war, muss es Spuren von diesem Fremden im Haus der Vollenweiders gegeben haben. Ein Hautschüppchen, ein Haar, Speichel, Blut, Fingerabdrücke, irgendetwas, was die KTU damals übersehen hat.
Etwas fällt ihm ein, etwas, das er vorhin in den Kopien der alten Akten gelesen hat, etwas, das für einen flüchtigen Augenblick sein Interesse erregte. Er blättert zurück zur Biografie der Eltern. Hans Vollenweider war Waise. Kriegswaise. Er hatte bis zu seiner Pensionierung nicht nur in einem Kinderheim gearbeitet, er war auch im Heim aufgewachsen, hatte dort sogar seine Ehefrau kennengelernt, weil die dort als Hauswirtschafterin angestellt war.
»Die Heimvergangenheit der Familie«, sagt er, »die ist doch zumindest ungewöhnlich. Vielleicht liegt da ein Motiv.«
»Das haben wir damals alles überprüft. Da war nichts«, sagt Dannenberg. »Außerdem hatten die Vollenweiders zum Zeitpunkt der Tat ja schon über fünf Jahre lang nichts mehr mit dem Heim zu tun. Das Heim war geschlossen worden, sie zogen nach Hürth. Wegen eines chronischen Magenleidens wurde Hans Vollenweider pensioniert.«
»Trotzdem hatten die vor dem Umzug nach Hürth alle für den Großteil ihres Lebens im Heim gelebt.«
Manni fängt aus den Augenwinkeln einen Blick von der Krieger auf. Wachsam sieht sie plötzlich aus. Witternd.
»Woher hatten sie eigentlich das Geld, um ein Haus zu kaufen?«, fragt sie. »Und was ist nach dem Mord mit dem Haus passiert?«
***
Die Schmach, dass Frau Hauptkommissar ihn erneut hat abblitzen lassen, war vorbei und vergessen, sobald er die neueste Entwicklung in Sachen Altstadtmord erfahren hatte. Das Todeshaus. Das Bluthaus. Die Spur führt zum Todeshaus. Mordopfer Jonas V.: Hat er seine Eltern umgebracht? René Zobel spielt ein paar Schlagzeilen durch, während er seinen Navi mit der
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